Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Vecchio hinuntergesehen auf die trägen Fluten des Arno. Kaum zu glauben, dass dieser harmlos wirkende Fluss 1966 große Teile des Centro storico von Florenz überflutet hatte. In einer Stadt, die als Wiege der Renaissance wie kaum eine andere auf engstem Raum ein großartiges Kulturerbe vereint, schon aus kunsthistorischer Sicht eine unvorstellbare Katastrophe.
Jetzt standen Sabrina und Hipp in der Kirche Santa Croce vor dem Tabernakel von Donatello. Er erzählte, dass der französische Dichter Stendhal in Santa Croce unter der schweren Last des Florentiner Kunstgenusses mit Schwindelgefühlen und Herzbeklemmungen zusammengebrochen war. Vergleichbare Beschwerden würden in der Literatur seitdem als Stendhal-Syndrom beschrieben. Sabrina meldete Zweifel an, dass diese psychische Störung, die aus einer Überdosis von Botticelli, Tizian und Caravaggio resultierte, von den Krankenkassen anerkannt würde. Da wäre ihr verdrehtes Knie, das ihr beim Gehen immer noch Beschwerden bereitete, sehr viel überzeugender.
Von Südtirol waren sie heute Morgen hierher in die Toskana gereist. Nach einem Tag Pause, den sie in Eppan weniger aus Gründen der Rekonvaleszenz eingelegt hatten, vielmehr hatten die vorangegangenen Ereignisse bei Sabrina emotionale Spuren hinterlassen. Sie lächelte leise. Wobei sie nicht von einem Sabrina-Syndrom sprechen würde. Sie dachte an das Überleben des Seilbahnunglücks, aber auch und vor allem an das nächtliche Zusammensein mit Hipp, das sie als lustvolle Wiederentdeckung vergessener Leidenschaften erlebt hatte. Diese tief greifenden Erfahrungen hatte sie erst mal verarbeiten müssen – was am besten im Liegestuhl zu bewältigen war.
Nun standen sie also hier in Santa Croce vor dem Tabernakel mit der Jungfrau Maria und dem Verkündigungsengel. Vielleicht sollten sie um höheren Beistand und kirchlichen Segen bitten, überlegte Sabrina. Schließlich befanden sie sich nicht wie ursprünglich geplant auf dem Weg nach Venedig, sondern unterwegs ins Chianti, wo Hipp Giovanni Martino besuchen und zur Rede stellen wollte. Ihren Vorschlag, dies gleich der Polizei zu überlassen, hatte Hipp ohne Angabe von Gründen entschieden abgelehnt. Hoffentlich, dachte sie, weiß er, was er tut.
Sie fröstelte. Irgendwie kam ihr diese Kirche unheimlich vor. Das mochte an den vielen Grabstätten liegen. Rossini, Ghiberti, Michelangelo, Machiavelli, Galilei – alle im Tod vereint. Ob ihre Skelette nächtens bei Vollmond zusammensaßen und über den Lauf der Gestirne diskutierten, über die Schöpfung und die Vertreibung aus dem Paradies? In diesem illustren Kreis der toten Genies würde Dante fehlen, sein Grab in Santa Croce bestand nur zum Schein, es war leer, seine Gebeine ruhten in Ravenna. Ein Diskurs zwischen Machiavelli und dem Schöpfer der
Göttlichen Komödie
über das Fegefeuer, im fahlen Licht des Mondes, im Angesicht der Fresken von Giotto, Lorenzo Ghibertis bronzene Visionen vom Sündenfall. Sie glaubte eine Arie aus Puccinis
Tosca
zu hören, Galilei hielt einen Apfel in der knöchernen Hand … Sabrina drehte sich um und begann zu rennen, die Schmerzen im Knie vergessend, sie musste hier raus, möglichst schnell, hinaus in die Sonne auf die Piazza.
Als sie wenig später an einem der Tische vor dem Caffè Rivoire* saßen, da ging es ihr schon wieder besser, ihr Atem hatte sich beruhigt, die Angstattacke war verflogen. Während Hipp mit seinem Freund Talhammer telefonierte, der in schöner Regelmäßigkeit anrief, um sich nach dem Fortgang der Ermittlungen zu erkundigen, sah sie hinüber zum Palazzo Vecchio, in dem einst die Medici residierten. Konnte es eine herrlichere Kulisse geben? Links der David von Michelangelo, zwar nur eine Kopie, aber deshalb nicht weniger ausdrucksstark. Dass just in diesem Augenblick eine Taube auf seinem Kopf landete, tat seiner Anmut keinen Abbruch. Rechts die Loggia dei Lanzi mit ihren steinernen Skulpturen, davor eine Kutsche mit höchst lebendigen Pferden. Sabrina nahm das Glas mit der Cioccolata calda, der heißen Schokolade, die im Caffè Rivoire obligatorisch war.
Amüsiert hörte sie Hipp sagen, dass er »selbstverständlich« in der Angelegenheit der Weindiebstähle ermittle, »zugegeben, nicht besonders intensiv«, räumte er ein, aber er habe durchaus ein gutes Gefühl.
Worauf sich dieses wohl gründete? Er hatte in den letzten Tagen mit Sicherheit kaum einen Gedanken an diesen Fall verschwendet.
»Nein, tut mir Leid, noch habe ich keine heiße Spur.«
Er
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