Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
feststellte, handelte es sich tatsächlich um Sassicaia. Einige Flaschen schienen das Unglück überlebt zu haben. Sie standen aufgereiht auf dem gescheuerten Boden, der aber gleichwohl Spuren von eingesickertem Rotwein erkennen ließ. Hipp zuckte mit den Schultern. Hier hatte Maria so konsequent Ordnung gemacht, dass beim besten Willen nichts mehr zu erkennen war. Selbst der obligatorische Kreidestrich fehlte, der die Umrisse des Leichnams markierte. Er ging wieder hinauf, machte das Licht aus, schloss die Tür, setzte sich im Wohnzimmer einige Zeit in den großen Ohrensessel, dachte nach – und verließ schließlich das Haus durch die Küche, das Fenster hinter sich zuziehend.
Wäre er auf dem Weg hinunter zur Mauer plötzlich und unerwartet stehengeblieben, hätte sich rasch umgedreht und zu dem Schuppen mit den Gartengeräten geblickt, dann hätte er wahrscheinlich bemerkt, dass er nicht alleine war. Aber Hipp blieb weder stehen, noch sah er sich um.
10
D ie große Lagerhalle der Firma Delicatezze dall’Italia, die der Einfachheit halber auch unter Delita firmierte, befand sich vor den Toren Parmas, verkehrsgünstig gelegen an der Autobahn, die von Mailand nach Bologna führte. Hier waren die feinsten italienischen Spezialitäten gelagert: Prosciutto di Parma*, Parmigiano Reggiano*, Mortadella, Ricotta, getrüffeltes Olivenöl, Aceto Balsamico Tradizionale* di Modena. Hinzu kamen Fische und Meeresfrüchte, Wein … Alles für den Export bestimmt, bevorzugt nach Deutschland, nach Österreich und in die Schweiz, zunehmend auch in die Ostmärkte, nach Russland, sogar bis nach China.
Die Geschäftsleitung von Delita residierte im Centro storico von Parma*, jener alten Residenzstadt, die einst von den Farnese regiert wurde, später zum Herrschaftsbereich der Bourbonen zählte und heute als Zentrum der italienischen Nahrungsmittelindustrie gilt. Die Büros lagen im ersten Stock eines klassizistischen Altbaus in unmittelbarer Nähe der Piazza Garibaldi. Ugo Zorzi und sein österreichischer Partner Amedèo Steinknecht gönnten sich diesen Luxus schon deshalb, weil sich das Flair Parmas auf ihre Kunden aus nördlicheren Gefilden durchaus verkaufsfördernd auswirkte. Außerdem schätzten sie für ihr eigenes Wohlbefinden die vielen Straßencafés und Trattorien in der unmittelbaren Nähe. Und wenn die Geschäfte mal nicht so gut liefen, dann konnte man in der Pfarrkirche Madonna della Steccata eine Kerze stiften, bei größeren Problemen gab es entsprechend teurere und wirkungsvollere Kerzen im Duomo Santa Maria Assunta. Aber Zorzi und Steinknecht hatten schon länger keine Kerzen mehr stiften müssen, Umsatz und Gewinn entwickelten sich prächtig.
Während Steinknecht schon seit vielen Jahren in Parma lebte und fast täglich im Büro war, kam Zorzi nur zu wichtigen Terminen vorbei. Was auch kurzfristig erfolgen konnte, denn von Modena*, wo ihm eine traditionsreiche Acetaia, eine Essigfabrik, gehörte, war es nicht weit. Dass sich die beiden Herren heute im Büro trafen, war freilich schon seit Tagen verabredet. Der Sekretärin hatten sie gesagt, dass sie keinesfalls gestört werden wollten. Auf dem Tisch war ein großer Teller mit hauchdünn aufgeschnittenem Parmaschinken und Grissini vorbereitet. Außerdem hatten sie eine Flasche Bricco dell Uccellone geöffnet, vielleicht half der Barbera* bei der anstehenden Entscheidungsfindung.
»E ora che facciamo, was machen wir jetzt?«, kam Ugo Zorzi auf den Punkt. Steinknecht wusste genau, worauf sein Partner anspielte. Der Anlass ihres Zusammentreffens lag im plötzlichen Ableben von Hubertus G. Rettenstein begründet. Denn Rettenstein war stiller Teilhaber von Delita gewesen, ihm gehörten nicht weniger als vierzig Prozent der Firma.
»Vor allem sollten wir keinen Fehler machen«, antwortete Steinknecht vieldeutig. Er nahm einen Grissino, umwickelte ihn mit Schinken und biss ab.
»In jedem Problem liegt gleichzeitig eine Chance«, stellte Zorzi fest.
»Eine Chance für wen? Für dich oder für uns?«
»Jedenfalls nicht für Hubertus.«
»Du bist pietätlos. Immerhin war Hubertus nicht nur unser Partner, sondern auch ein guter Freund.« Steinknecht sah Zorzi konzentriert an, um dann fortzufahren: »Weißt du, was mir immer wieder durch den Kopf geht?«
»Was denn?«
»Nur so eine Idee. Es wäre doch denkbar, dass Hubertus keinen Unfall hatte, sondern umgebracht wurde. Wäre doch möglich, rein theoretisch, oder?«
Zorzi lächelte. »Rein theoretisch? Sì,
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