Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Steinknecht. Offensichtlich war Rettenstein mit dessen Geschäftsführung nicht immer einverstanden gewesen. Und er hatte überhaupt nichts davon gehalten, Kunden mit minderwertiger Ware übers Ohr zu hauen. Was Steinknecht wohl gelegentlich etwas anders sah. Jetzt eine Bestellung von Syrah aus Sizilien. Siehe da, auch Rettenstein hatte die Senkrechtstarter von der Insel entdeckt. Ein Monatsbericht von Steinknecht mit den Umsätzen ihrer gemeinsamen Firma Delita. Das Geschäft schien zu florieren. Eine Reklamation seines Rasenmähers. Nun, dahinter verbarg sich wohl kein Mordmotiv. Interessanter war eine Mahnung an seinen anderen Partner, an Ugo Zorzi, endlich sein Darlehen zurückzuzahlen. Was für ein Darlehen? Die Vermittlung eines Auftrags aus Düsseldorf über fünftausend Gläser Trüffelöl*. Die Bestätigung von Steinknecht. Die Aufstellung der von Rettenstein gelieferten Trüffeln der letzten Wochen. Eine Einladung zu einer Weinverkostung nach Canale* …
Hipp nahm sich die Zeit, alle E-Mails der letzten Monate aufzurufen, sowohl die eingegangenen als auch die abgeschickten, darunter jene zwei, die an ihn selbst adressiert waren. Zwar vermittelte die elektronische Korrespondenz ein genaueres Bild von Rettenstein, zeigte ihn von seiner eitlen Seite, als Weinliebhaber, als Geschäftsmann. Eine Spur zu seinem Mörder war aber nicht zu entdecken. Hipp klappte das Notebook zu und trank den Amaro aus. Schade, dass die Drohbriefe nicht per E-Mail mit Absenderangabe geschickt worden waren. Aber das wäre auch zu einfach gewesen.
Er verabschiedete sich vom Mann an der Bar, wechselte einige Worte mit dem Nachtportier und ging zu Bett.
27
U go Zorzi bremste kurz, schaltete herunter, gab wieder Gas. Gleichzeitig zog er den Ferrari von der linken Seite über die beiden Spuren ganz nach rechts. So spät am Abend machte es Spaß, bei der Auffahrt zur Autobahn wie auf einer Rennstrecke die Ideallinie zu finden. Der Zwölfzylinder im Rücken blies ihm eine infernalische Symphonie um die Ohren. Ein kurzes Ausbrechen des Hecks, ein kurzes Gegenlenken. Wieder abbremsen. An der Station links vorbei an den normalen Spuren, elektronische Registrierung statt Biglietto, Schranke hoch. A tutta velocità!
Zweiter Gang, dritter Gang … Kein Adagio, nein, der Ferrari war wie ein Orchester, das zum Fortissimo gepeitscht wurde. Und der Dirigent, das war er, Ugo Zorzi, il maestro. Wer brauchte Trompeten und Posaunen? Sein Orchester holte Luft aus mächtigen Einlassöffnungen, pumpte diese mit Kompressoren auf, blies ein explosives Gemisch durch polierte Einspritzdüsen. Wer brauchte eine Stradivari aus zerbrechlichem Holz? Seine Geige hatte Nockenwellen aus Titan und glühende Bremsscheiben aus Kohlefaser.
Zorzi sah auf den Tacho und grinste. Damit dürfte er jenseits des Messbereichs einer jeden Radarfalle sein. Jedenfalls war das die fulminante Krönung eines angenehmen Abends. Er hatte zwar keine Ahnung, warum ihn sein Partner Amedèo Steinknecht nach dem Büro zum Essen eingeladen hatte, aber mit der Trattoria Le Viole hatte er zweifellos eine gute Wahl getroffen. Und Amedèo war ungewöhnlich fröhlich gewesen, geradezu ausgelassen. Ob das daran lag, dass ihre Firma Delita kurz vor der Pleite stand? Zorzi musste lachen. Jedenfalls würde der Rechtsanwalt aus Alba, der sein Kommen angekündigt hatte, genau diesen Eindruck gewinnen.
Sein Partner hatte noch auf dem Handy festgestellt, dass für die Strecke nach Modena keine Staumeldungen vorlagen. So zuvorkommend war Amedèo noch nie gewesen. Er hatte ihn zum Ferrari hinausbegleitet, ihn umarmt und ihm eine gute Fahrt gewünscht, war dann wieder hineingegangen, um den bereits bestellten Digestivo zu trinken und die Rechnung zu zahlen.
Zorzi lockerte den Griff am Lenkrad. Auf dieser langen Geraden hielt sein Ferrari perfekt die Spur, durch die Aerodynamik auf den Asphalt gepresst, kaum höher als die Leitplanke, unempfindlich gegen Seitenwinde.
28
V or der Lagerhalle von Delicatezze dall’Italia stehend, war Hipp von ihren Ausmaßen beeindruckt. An der Rezeption sagte man ihm, dass Signor Steinknecht noch nicht da sei, er möge bitte im Besucherzimmer warten. Was Hipp mit einem leisen Lächeln quittierte, denn neben dem Eingang hatte er den reservierten »Parcheggio per A. Steinknecht« gesehen, mit einem dort geparkten Range Rover. Aber es machte ihm nichts aus zu warten. Nach einer halben Stunde wurde er aber dann doch am Empfang vorstellig. Ob er lieber am Nachmittag
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