Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Inevitabile!
Nun, dieses Schreiben war schon sehr viel konkreter. Vor allem passte es zur letzten Mail von Rettenstein. Das Loch im Papier konnte sehr gut von einem Parmesanmesser herrühren. Und der rote Fleck ließ auf Rotwein schließen. Jedenfalls schienen die Papiere authentisch zu sein. Was eine Reihe von Fragen aufwarf: Wer hatte den Umschlag in sein Auto gelegt? Und wann? Mit welcher Absicht? Gaben die Schreiben irgendeinen Hinweis auf den Urheber? War dieser identisch mit der Person, die Rettenstein umgebracht hatte? Fragen, nach deren Beantwortung er nicht auf dem Beifahrersitz seines Autos suchen wollte. Er steckte die Dokumente zurück in den Umschlag, schloss das Verdeck der Giulietta und begab sich hinauf aufs Hotelzimmer.
Dort angekommen, setzte er sich auf einen Stuhl und schloss die Augen. Erneut ging er den Text der Briefe durch. Dazu musste er sie nicht mehr in die Hand nehmen, er hatte sie Wort für Wort im Gedächtnis. Es kam nur selten vor, dass Hipp etwas zweimal las. Dass er dennoch nach einigen Minuten aufstand, um sie sich erneut anzusehen, hatte einen anderen Grund. Die Adresse auf dem Umschlag stammte von einem anderen Urheber als die Briefe, das war trotz der nachgeahmten Druckbuchstaben offensichtlich. Viel interessanter war die Schrift auf den Drohbriefen. Sie war leicht verwischt, was gelegentlich vorkam, wenn jemand mit der linken Hand schrieb und dabei mit dem Handballen übers Papier glitt. Außerdem waren die Striche so angesetzt, wie sie für einen Linkshänder typisch waren. Auf der Rückseite sah man, dass der Autor fest aufgedrückt hatte. Das Zittern in der Schrift war keine Altersschwäche, sondern diente wohl einzig der Verstellung.
Wieder setzte er sich hin und schloss die Augen. Er sah Rettenstein vor sich, mit der Zigarre, mit einer Flasche und einem Korkenzieher. Ja, Rettenstein war Linkshänder gewesen. Aber warum sollte er sich selbst Drohbriefe schreiben? Seine Haushälterin Maria Battardi, wie sie ihm das Wasserglas reichte? Nein, sie war Rechtshänderin. Hipp ging in Gedanken alle Menschen durch, denen er in den letzten Tagen begegnet war. Er hatte die Fähigkeit, Bilder zu speichern, um sie bei Bedarf wieder aufzurufen. Was seinen früheren Kollegen bei der Kriminalpolizei oft unheimlich erschienen war, hielt er für eine Selbstverständlichkeit. Er musste sich nur konzentrieren. Carlo Giardina mit dem Trüffelhobel? Fehlanzeige. Hipp beobachtete Viberti beim Essen, beim Nudeldrehen mit der Gabel, beim Anstoßen mit dem Weinglas. Er musste schmunzeln, als er feststellte, dass der Maresciallo Linkshänder war. Dass so etwas bei den Carabinieri überhaupt erlaubt war? Jedenfalls kam auch er als Schreiber der Briefe kaum in Betracht. Ugo Zorzi beim Schließen der Tür seines Ferraris? Mit der rechten Hand. Amedèo Steinknecht? Auf einem Foto an der Wand des Empfangs von Delita hielt er eine Flasche Wein in die Kamera – mit rechts. Der Avvocato Elio Romagnosi mit dem Füllfederhalter an seinem Schreibtisch und heute Nachmittag in der Enoteca? Nein, auch er schied aus.
Nun, es machte ganz den Eindruck, als ob er den Schreiber der Briefe nicht kennen würde. Hipp war schon im Begriff, die Recherche abzuschließen, als ihm bewusst wurde, dass er jemanden vergessen hatte. Er sah sich vor der geöffneten Kühlerhaube seiner Giulietta stehen, er sah Gina, wie sie sich die Sonnenbrille in die Haare schob, seinem Anlasser einen Schlag versetzte, den Pflasterstein wegwarf. Ja, Gina Zazzari, seine Zufallsbekanntschaft vor dem Hotel in Alba, die voraussichtliche Erbin Rettensteins, Gina war Linkshänderin wie ihr Vater. Sie würde wohl auch beim Schreiben kräftig aufdrücken, sie hätte die Kraft, ein Parmesanmesser in den Schreibtisch zu rammen. Und nicht nur das, ihr wäre es körperlich auch zuzutrauen, ein schweres Weinregal umzuwerfen und mit einer abgebrochenen Flasche Wein …
Hipp fühlte sich nicht wohl bei diesem Gedanken, hatte keine Lust, sich die Szenen auszumalen. Gina Zazzari? Er stand auf, blickte eine Weile aus dem Fenster, ging dann zum Fernsehgerät und schaltete es ein. Es wurde Zeit, auf andere Gedanken zu kommen. Dieser merkwürdige Barolo aus dem Lager von Delita könnte dazu seinen Beitrag leisten. Hipp öffnete ihn, sah sich den Korken an und goss sich ein Glas ein.
Das mit der Ablenkung wollte nicht so recht klappen. Im Fernsehen wurde vom Mordfall Amedèo Steinknecht berichtet, dass man seine Leiche in einer Tiefkühltruhe gefunden habe, dass
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