Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Hälfte wert.
Carlo zuckte mit den Schultern, gab Giovanni das Geld fürs Training, machte die Heckklappe auf und machte Profumo ein Zeichen. Dieser schubste Giovanni zum Abschied mit der Schnauze und sprang folgsam ins Auto. Als Carlo die Klappe besonders kräftig zuschlug, zuckte Profumo nicht mal mit den Augen. Entweder stand er unter einem Beruhigungsmittel, oder der Hund hatte sein altes Phlegma zurückgewonnen. So kannte ihn Carlo. Denn als Profumo noch ganz jung gewesen war, da war er mal sein Hund gewesen. Schon damals konnte man seine besondere Eignung für die Trüffelsuche erahnen. Aber weil Carlo Geld für seine Enoteca brauchte und außerdem wenig Zeit für den Hund hatte, wechselte der Lagotto Romagnolo das Herrchen – aber natürlich innerhalb der Familie. Alles andere wäre undenkbar gewesen. Ja, und in der Familie war er auch nach Ildefonsos Tod geblieben. Selbst wenn er nie mehr eine Trüffel finden würde, Carlo würde sich um ihn kümmern.
32
I m Innenraum der Giulietta gab es einige Fugen und Schlitze, die die unangenehme Eigenschaft hatten, Straßenkarten, Zettel und Broschüren jedem Zugriff zu entziehen. Diesmal war es der Autoschlüssel. Hipp kniete auf dem Fahrersitz und suchte unter der Handbremse. Das hier, das war die Landkarte der Emilia-Romagna. Die Visitenkarte von einem Ristorante in Alba. Na bitte, der Autoschlüssel. Unter der Sitzschiene lugte noch etwas Weißes hervor. Hipp zog daran – und förderte einen merkwürdigen Briefumschlag zutage. Merkwürdig deshalb, weil er ihn zuvor noch nie gesehen hatte, weil er zugeklebt war, keinen Absender trug, aber zweifelsfrei an ihn adressiert war.
»Per il Signor Hermanus«, stand in ungelenken Druckbuchstaben darauf geschrieben, »per Sua informazione!« Das war wohl kaum eine Anleitung seines Mechanikers, was er zu tun habe, wenn die Benzinpumpe ausfiel. Auch kein Rezept für Tagliatelle con tartufo. Hipp nahm auf dem Beifahrersitz Platz, schlitzte den Umschlag mit dem Autoschlüssel auf und entnahm ihm zwei große gefaltete Briefbogen. Ganz offensichtlich waren sie schon mal zusammengeknüllt gewesen, dann aber wieder glattgestrichen worden.
Beim ersten Blick auf den Text wurde ihm klar, was er vor sich hatte. Das mussten sie sein, zwei der Drohbriefe, von denen Rettenstein berichtet hatte, die den Mann so in Aufregung versetzt hatten, dass er bei ihm um Hilfe nachsuchte – und die sehr wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit seinem Tod standen. Sie waren in Italienisch abgefasst und erstaunlicherweise mit der Hand geschrieben, aber in ähnlich krakeligen Druckbuchstaben wie auf dem Umschlag. In kurzen Worten wurde Rettenstein zunächst als »gottloser Sünder« beschimpft, dann hieß es, er sei »in Abwesenheit zum Tode durch Verbrennen« verurteilt worden. Aber er könne Ablass leisten, sich von seinen Sünden loskaufen, vor Gott wieder gerecht werden und sich das Fegefeuer ersparen durch Zahlung von hunderttausend Euro als »animadversio debita«. Zu hinterlegen am nächsten Dienstag um siebzehn Uhr in der Chiesa di San Giovanni zu Alba, links in der ersten Kapelle zu Füßen der Madonna delle Grazie. Bei Nichterfüllung sei er des Todes.
Hipp konnte verstehen, dass Rettenstein auf dieses Schreiben verstört reagiert hatte. Ob das ein Wahnsinniger war, der ihm nur einen Schrecken einjagen wollte und sich dabei von der Inquisition inspirieren ließ? Oder forderte jemand ernsthaft die »animadversio debita«, die angemessene Strafe, in Höhe von hunderttausend Euro – mit allen Konsequenzen? Das konnte Rettenstein nicht wissen. Natürlich hatte er nicht gezahlt, das würde wohl niemand aufgrund eines solchen anonymen Schreibens. Aber Hipp wusste nicht, welchen Bedrohungen Rettenstein sonst noch ausgesetzt war. Doch da gab es ja noch den zweiten Brief.
Dieser fing ähnlich an, warf Rettenstein erneut vor, ein gottloser Sünder zu sein, der keine »contritio cordis« zeige, keine Reue des Herzens. Die Madonna delle Grazie habe vergeblich auf den Ablass gewartet. Das Urteil stehe kurz vor der Vollstreckung. Als Zeichen der Allmacht des hohen Gerichts sei das Blut des Herrn vergiftet. Und ebenso wie dieses Corpus Delicti fünf weitere Flaschen im Keller des Bacchus. Bei Zahlung von hunderttausend Euro sei er vor Gott wieder gerecht und man werde ihm die vergifteten Flaschen deklarieren. Am nächsten Freitag um siebzehn Uhr zu Füßen der Madonna delle Grazie in der Chiesa di San Giovanni. Andernfalls sei er des Todes.
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