Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
großen Tritten aus, immer drei Schritte nach rechts und drei Schritte nach links. »Kann mir denken, was die alle tun, weiß aber nicht, wo«, brummte Jan, machte einen Schritt rückwärts und lehnte sich mit dem Kopf an die Burgmauer. Er war jetzt nur wenige Meter von Hiske entfernt. Ein strenger Geruch nach Schweiß und ungewaschener Haut wehte zu ihr herüber. »Bin froh, wenn wir uns hier irgendwo waschen können«, sagte er auch schon. Er nahm seine ruhelose Wanderung über den Hof wieder auf. Hiske in ihrer Nische bemerkte er nicht, da er unablässig die Eingänge zur Burg im Auge behielt. »Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es so ist, wenn doch alle verschwunden sind«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Was ist so?«, hustete der Dicke.
»Garbrand, sag lieber nichts, das verschlimmert deinen Zustand. Sobald wir Krechting getroffen haben, bekommst du ein trockenes Lager. Ich mache Wickel auf deine geschundene Lunge, reibe dich mit meiner Salbe ein.« Den Blick, den er dem Mann zuwarf, war voller Wärme, auch seine Anspannung schien für einen Moment nachzulassen. »Jetzt haben wir es so weit geschafft, den Rest bekommen wir auch noch hin. Ganz sicher.« Als Jan aber dem Burghof erneut seine ganze Aufmerksamkeit widmete, wirkte er gleich wieder so, als sei jeder Muskel seines Körpers in Alarmbereitschaft.
Hiske hatte bei seinen Worten eben ein wenig gestutzt. Er hatte Dinge zu Garbrand gesagt, die auf medizinisches Wissen hindeuteten, der Kranke würde folglich gut versorgt sein.
»Wir müssen warten«, sagte Jan schließlich. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis sie zurück sind. Komm, Garbrand, lass uns hier rasten, einen Schluck trinken und etwas essen. Du brauchst ganz dringend eine Stärkung.« Er lächelte den Mann an. Dieser Jan war wirklich ein außergewöhnlich gut aussehender Mann mit einer warmen Stimme. Hiske wunderte sich über sich selbst. So etwas hatte sie noch nie von einem Mann gedacht. Der Aufenthalt in der Fremde schlug ja völlig andere Seiten an ihr auf.
Jan ließ sich mit Garbrand unweit von Hiske nieder. Er griff in das Bündel und zog einen Kanten Brot und etwas geräuchertes Fleisch heraus, das er brüderlich mit seinem Begleiter teilte. Der pulte aber nur ein paar Krumen vom Brot und lehnte das Fleisch ganz ab.
In dem Moment öffnete sich die Kellertür, und die Menschen strömten lautlos, wie sie gekommen waren, in den Hof. Hiske drückte sich noch enger in den Schatten der Mauernische. Es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder in ihre Wagenburg oder ihr Lager verkrochen hatten. Die, die außerhalb der Burg wohnten, wurden ohne Schwierigkeiten herausgelassen. Binnen Minuten wirkte der Burghof, als schlafe er friedlich. Hiske befand sich nun allein mit den Neuankömmlingen auf dem Hof. In diesem Moment verließen auch Krechting und Schemering den Keller. Krechting schien die beiden Männer erwartet zu haben, denn er hatte sich wie ein witternder Hund umgesehen, bis Jan ihn ebenfalls entdeckt und ein Zeichen gemacht hatte.
»Jan Valkensteyn?«, fragte Krechting knapp. Als Jan nickte, sprach Krechting gleich weiter, ließ sogar die Begrüßung weg. »Kommt er? Hat er Euch begleitet?« Wie wichtig mochte diese Information für ihn sein, dass er sämtliche Höflichkeitsfloskeln außer acht ließ?
»Er hat mir etwas mitgegeben. Ihr sollt vorsichtig sein. Nichts ist sicher, nichts ist gewiss.«
Krechtings Stimme wackelte hörbar, als er jetzt sagte: »Er ist nicht gekommen? Ihr seid ohne Rothmann hier?«
Jan nickte. »Rothmann heißt er also mit wirklichem Namen. Ich habe ihn gar nicht zu Gesicht bekommen.«
»Aber er lebt?«, setzte Krechting mit heiserer Stimme nach.
»Ich denke doch. Habe aber nicht persönlich mit ihm gesprochen. Man hat mir diesen Brief in die Hand gedrückt. Der Bote war am nächsten Tag tot. Rothmann wird kommen, wenn die Zeit dafür reif ist.«
Krechting riss Jan den Brief aus der Hand, steckte ihn aber ungelesen in sein Wams. Er war aschfahl geworden. Unsicher griff er hinter sich und stützte sich an der Burgmauer ab. Seinem Gesicht war anzusehen, dass sich alle Hoffnungen zerschlagen hatten. Nur mit Mühe fasste er sich wieder und schien zum ersten Mal den Mann an Jans Seite wahrzunehmen. »Wer ist das?«
»Ein Freund, den ich auf der beschwerlichen Reise kennengelernt habe. Wir wollen bald zurück nach Emden. Ein paar Tage ausruhen, dann machen wir uns auf den Weg.«
Krechting nickte, hob an, etwas zu sagen, aber nun ergriff
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