Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Schemering das Wort. »Wollt Ihr meine Gäste sein? Meine Hofstelle bietet Platz und Essen für alle.« Er sah zu Krechting. »Mein Onkel hatte einen bedauerlichen Unfall, er muss sich schonen und kann Euch deshalb keine Gastfreundschaft anbieten.«
Jan nickte. »Sehr freundlich. Eine Bettstatt und eine warme Suppe morgen früh würden uns guttun.« Er warf einen Blick auf den Mönch »Und heißes Wasser. Mein Begleiter ist sehr krank, er braucht Hilfe.«
»Ich lass Dudernixen kommen, der kann ihn zur Ader lassen«, brummte Krechting, aber Jan winkte ab. »Bin selbst Arzt. Ich habe Medizin für ihn dabei.«
Krechting nickte. Er hatte von dem Boten mehr erwartet als einen Brief, auch wenn der nur unter Einsatz seines Lebens überhaupt hierhergelangt war.
Die Männer verließen den Hof, Hiske hörte, wie Hinrich Krechting Jan vom Mord an Bruder Cornelius in Kenntnis setzte. Dann verloren sich ihre Stimmen in der Nacht.
Kapitel 11
Jan Valkensteyn saß bei Wolter Schemering am Kamin und sah ins prasselnde Feuer. Sie konnten trotz der fortgeschrittenen Stunde nicht schlafen und warteten bei Bier und Käse auf die nötige Bettschwere. Jan merkte, wie die Anspannung der vergangenen Tage langsam von ihm abfiel. Was für eine Wohltat, endlich einmal wieder richtig warm, satt und vor allem sauber zu sein.
Garbrand schnarchte in seiner Kammer, Wolters Weib hatte ihm sogar ein echtes Kissen und eine Decke gegeben. Sie war es auch, die Jan heißes Wasser und alles, was er brauchte, um seinem Freund die Nacht so leicht wie möglich zu machen, gebracht hatte.
»Wie hat man Cornelius gefunden?«, fragte Jan.
»Am Lager, schlimm zugerichtet. Da war Hass im Spiel, und nicht zu knapp.« Schemering schilderte Jan die Verletzungen und schüttelte sich. »Das kann keiner von uns getan haben. Wir halten fest zusammen. Aber es gibt Menschen, die hier leben und die nicht zu uns gehören.«
Jan zog fragend die Brauen hoch.
»In Dykhusen wohnen ja genug Nichttäufer. Und seit der Nacht des Mordes treibt sich ein Weibsbild aus Jever hier herum. Sie ist dort der Zauberei angeklagt und hierhergeflohen. Krechting wollte es geheim halten, doch das gelingt bei uns nicht. Und dann gibt es noch einen Irren hier.«
»Einen Irren?« Jan war konsterniert. »Was heißt einen Irren?«
Schemering druckste merklich herum. »Ein Junge.«
»Ein Junge?«
»Groß, viel zu groß. Ein Bär von Kind und erst ungefähr zehn Lenze alt. Keiner weiß, wer er ist und woher er kommt. Treibt sich am Lager herum, ist mal da, mal nicht. Reden kann er auch nicht …«
Jan hob die Hand, gebot Schemering zu schweigen. »Ein Kind? Ein Kind, das nicht redet?«
Wolter nickte. »Und diese Zauberin hat sich seiner angenommen, ihn sogar eine Nacht beherbergt, erzählt man sich. Genau in der Nacht ist dann Krechting zusammengeschlagen worden.«
»Was ist denn das für ein Beweis? Warum sollte ein Kind, auch wenn es von kräftiger Statur ist, versuchen, Euren Anführer zu töten? Wo liegt der Sinn?«
Schemering schürzte die Lippen. »Genau darüber habe ich mir auch den Kopf zerbrochen. Aber was ist, wenn die Zauberin es in ihrem eigenen Interesse angezettelt hat?«
»Was ist sie für ein Mensch, was genau macht sie hier?«, fragte Jan.
Schemering erzählte. Der Arzt hörte zu und fragte dann: »Warum sollte die Hebamme das tun? Krechting hat ihr doch Schutz und Wohnrecht gegeben?« Jan merkte, dass er einen wunden Punkt bei Schemering getroffen hatte, denn der hatte dafür auch keine Erklärung und stammelte nun unsicher: »Sie ist eben eine Zauberin, sie bringt das Böse.«
Jan schüttelte den Kopf über so viel Aberglauben. »Schemering, Ihr seid Jurist, Eurer Sinne mächtig. Ihr seid Täufer, und für Euch gibt es das Höllenfeuer und diesen Humbug nicht. Wie wahrscheinlich ist so etwas?«
Schemering war es sichtlich unangenehm, dass Jan ihn bloßstellte. »Ihr habt recht, Valkensteyn. Der Pöbel schreit aber nach einem Schuldigen, und es wäre fatal, jetzt jemanden aus der Täuferriege zu beschuldigen. Ich wüsste auch nicht, wen. Die ganze Sache steht auf wackligen Füßen. Wir kommen mit dem Deichbau gut voran, aber die neue Siedlung am Brack, sie zieht sich. Die Menschen im Lager werden immer unleidlicher, wollen nicht länger im Schmutz hausen. Sie wollen endlich sesshaft sein, es sind alles gut angesehene Handwerker und Kaufleute aus Holland. Wir muten ihnen sehr viel zu. Und nun der Mord an dem Lokator.«
Jan griff zu dem Becher mit dem Dünnbier.
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