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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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die Hebamme sie zu ihr zu kommen. Wer in Gottes Namen hatte sie belauscht? Tyde überlegte, warum Hiske sie nicht einfach geweckt und mitgenommen hatte. Warum dieser heimliche Brief?
    »Vielleicht war es zu gefährlich, wenn man uns gemeinsam sieht«, mutmaßte sie, schlug sich aber gleichzeitig auf den Mund, weil sie laut gesprochen hatte. Wer wusste schon, durch welche Schächte und Lücken man ihre Bettstatt beobachten konnte. Tyde raffte fast lautlos ihre wichtigsten Dinge zusammen und stopfte auch das Öl in das Bündel. Tyde merkte, dass sich ihr Bauch wieder vor lauter Aufregung anspannte, sich viel zu lange verhärtete. Sie musste möglichst ruhig und doch schnell zu der Hebamme gelangen, nur dann hatten sie und das Kind eine Chance zu überleben. Wie allerdings Adele auf ihre Rückkehr reagieren würde, wusste sie nicht. Tyde hatte eher den Eindruck gehabt, dass sie froh war, sie los zu sein. Sie waren einfach viel zu verschieden. Vor allem in Glaubensfragen schien Adele unerbittlich. Aber das konnte täuschen. Tyde glaubte oft, hinter den Gesichtern der Menschen eine andere Regung zu sehen als das, was sie vorgaben zu sein. Nach außen wirkte es, als säßen alle im selben Boot. Wer konnte schon erkennen, was sich hinter der Stirn der Leute abspielte.
    Tyde sah sich prüfend um, überlegte, ob sie alles hatte, um eine Weile unterzutauchen. Hebrich würde nicht allzu ungehalten sein, da sie sie im Augenblick ohnehin nicht als Arbeitskraft nutzen konnte. Vielleicht war sie eher froh, einen unnützen Esser weniger zu haben. Es war klar, dass sie selbst für die Herrin ein Nichts war. Ein Wesen, dem man nicht nachtrauerte. Noch während Tyde das dachte, liefen bittere Tränen ihre Wangen herunter. Seit sie Cornelius geheiratet hatte, war sie für ihre Umwelt lästig. Ihre Eltern waren tot, ihr Mann hatte sie ständig betrogen, sogar eine andere Frau geschwängert. Nach seinem Tod waren keine Freunde da gewesen, die sich ihrer angenommen hatten. Die so viel beschworene Glaubensgemeinschaft hatte sich keinen Deut um sie geschert. Sie gehörte eben weder zu den Holländern noch zu den Münsteranern. Sie war eine Hiesige, doch da sie einen der führenden Täufer geheiratet hatte, schlugen ihr auch in Dykhusen oft kalte Blicke entgegen, denn nicht jeder glaubte an den Geistesumschwung ihres Mannes. Lediglich diese neue Hebamme war von Beginn an freundlich, fast herzlich zu ihr gewesen. So viel Furcht sie ihr zunächst auch eingeflößt hatte, so anders war ihr Verhalten ihr gegenüber gewesen. Es war mutig und selbstlos, dass sie sie nun retten wollte. Tyde zweifelte nicht an der Richtigkeit der Warnung. Man hatte ihren Mann getötet, immer wieder hatte sie sich verfolgt gefühlt. In jeder Ecke hatte sie leise Stimmen, heiseren Atem gehört und sich von vielen Augenpaaren aufgespießt gefühlt.
    Sie öffnete die Tür zum Flur, huschte den Gang hinab und schlüpfte hinaus in den spärlich beleuchteten Hof der Burg.
    Der Wortsammler hatte Angst bekommen, nachdem sein Bein tief im Morast eingesackt war. Er musste wieder festen Boden unter den Füßen haben, vielleicht wäre die Nacht morgen nicht so hell, weil der Mond Verstecken spielte. Außerdem plagte ihn der Hunger, er musste essen, sonst würde er nicht überleben. Er mochte die Würmer nicht, und auch Frösche waren nicht das, was ihm schmeckte. Er hatte versucht, ein aufgescheuchtes Kaninchen zu fangen, doch dabei wäre er fast zu Tode gekommen, weil er abgerutscht und in ein Moorloch gefallen war.
    Der Knabe lauschte in die Dunkelheit. Es war still geworden, nachts suchten sie nicht nach ihm. Er würde sich bis ans Meer wagen können, denn es machte ihn auch unruhig, dass er es schon eine Nacht nicht hatte besänftigen können. Es würde böse sein, denn egal ob sie ihn suchten oder nicht, sie würden den Damm weiterbauen und den Hafen. Der große laute Mann würde niemals damit aufhören. Jetzt hatte er seine Mannen losgeschickt. Sie wollten ihn, den Meerbewacher, töten.
    Vorhin war er so verzweifelt gewesen, da glaubte er tatsächlich, die Stimme der Lebenspflückerin gehört zu haben. Sie hatte aufgeregt, ja, ängstlich geklungen. Nur, was sollte sie im Moor, sie musste die Kinder holen und den Frauen helfen. Er sollte bald zurückgehen und das Meer und die Lebenspflückerin schützen. Es gab nur diese beiden Dinge in seinem Leben.
    Der Knabe wandte sich um, geleitet von seinem Instinkt, der ihn immer wieder an das Schwarze Brack zurückführte.
    Magda

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