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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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aus ihm herausgesogen. Die ganze Zukunft war dunkel und trüb, er wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte. Nie hätte er geglaubt, dass er einmal so verzweifelt sein würde. Seine ganze zweite Lebenshälfte lang hatte er nur ein Ziel gehabt, und das war die Errichtung des Neuen Jerusalems gewesen. All die Kämpfe in Münster, die Auseinandersetzungen mit Bischof Waldeck, die Diskussionen mit Jan van Leyden und Hinrichs Bruder Bernd, Bürgermeister Knipperdolling. Dann der Niedergang Münsters, seine Flucht nach Oldenburg und der Versuch, dort die Täufer um sich zu scharen, seine Ausweisung, weil Graf Anton sich Waldeck beugen musste. Krechting gingen die Jahre in Rastede durch den Kopf, deren einzige Lichtblicke die Gespräche mit Hardenberg gewesen waren. Er hatte ihm den reformierten Glauben nähergebracht und ihn dadurch unbewusst – und ungewollt – darin bestärkt, dass genau sein Glaube, das Täufertum, der richtige war und es daneben keinen geben konnte. Schon damals hatte er versucht, über Boten an Rothmann heranzukommen. Krechting wusste, dass sein alter Freund sich schützte, indem er keinen Menschen leben ließ, der nicht zu den Täufern gehörte und sich nach Münster in seinem unmittelbaren Dunstkreis befunden hatte. Es war seine einzige Möglichkeit, denn er gehörte, wie auch Krechting und von Ascheburg, zu den Menschen, die der Kaiser und viele seiner Bischöfe gerne aufspießen und dann mit heißen Eisen zerlegen lassen würden.
    Doch nun war Rothmann nicht gekommen. Hatte sie hängen lassen, ihnen seine Unterstützung im Kampf für das Neue Jerusalem verweigert. Krechting verspürte eine gewisse Wut auf Rothmann, dem anscheinend alles andere wichtiger war als die Belange seiner alten Freunde, die in seiner Abwesenheit um den Glauben gekämpft und sogar einen Zufluchtsort für alle aufgebaut hatten. Oder besser, aufbauen wollten.
    Nun war von Ascheburg tot, und er, Krechting, stand mit seinem Neffen allein vor dieser Aufgabe. Dudernixen würde Cornelius nie ersetzen können, und doch hatten sie keine Wahl, als ihn jetzt mit den Aufgaben des Lokators zu betreuen, nur er war in der Lage, die Eindeichungsmaßnahmen ausreichend überwachen zu können. Aus der Not heraus gingen alle immer den einfachsten Weg. Anstatt den wahren Mörder zu finden und so weitere Gräueltaten zu verhindern, machten sie Jagd auf einen Knaben. Es war klar, dass sie auf den Abgrund zusteuerten, denn der Wolf im Schafspelz war noch immer unter ihnen. Er würde wieder zuschlagen, wann immer es ihm beliebte.
    Hinrich stocherte mit der Schuhspitze in der Erde herum. Es ging so nicht weiter. Gleich morgen würde er Wolter aufsuchen und ihn von der Unsinnigkeit dieses Unterfangens überzeugen. Sie mussten umkehren, sich auf den Deichbau und den Bau des Hafens konzentrieren, damit sie endlich Häuser für die Menschen bauen konnten, sie eine Heimat hatten. Auch ohne Rothmann. Hinrich trug seinen Brief noch immer unter dem Wams. Er zog ihn nun hervor, zerriss ihn und ließ die einzelnen Schnipsel vom Wind davonwehen.
    Es musste etwas passieren. Vielleicht würde der Mörder ewig frei herumlaufen, doch es bestand die Möglichkeit, dass er Ruhe gab, wenn er selbst mit dem Aufbau seiner Existenz beschäftigt war. Viele Menschen wurden friedlich, wenn sie erst ein Haus, eine Bleibe hatten. Sie mussten umdenken, die Menschen in den Mittelpunkt ihres Wirkens stellen, nicht den Glauben und die neue Stadt. Erst wenn alle eine Heimat hatten, wenn all das getan war, konnten sie wieder damit beginnen, den Schwerpunkt auf die Zusammenkünfte und Gottesdienste zu richten. Der Glaube allein sättigte die Menschen nicht, gab ihnen nicht das, was sie zum Leben brauchten. Sie hatten die Situation falsch eingeschätzt, alles verkehrt herum begonnen. Nur volle Bäuche und saubere Kleidung öffneten die Seelen für ihre Speisung. Die Gesichter waren in den nächtlichen Zusammenkünften immer unzufriedener geworden, der Glaube erreichte die Menschen nicht mehr. Er würde morgen nicht nur mit Wolter, sondern auch mit Hebrich reden, wie die Baumaßnahmen für die Neustadt schneller vorangebracht werden konnten. Wenn all das getan war, konnten sie wieder an das Neue Jerusalem denken und daran, wie die Mennoniten mit den Täufern endgültig zu einer Einheit verschmolzen. Seinetwegen auch mit Dudernixen an der Spitze.
    Hinrich streckte den Rücken durch. Dieser Entschluss hatte ihn gestärkt, er fühlte sich nun auf dem richtigen Weg. Morgen dachte

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