HISTORICAL Band 0264
Fremdenlegion in Marokko angeschlossen. Worum es bei den Kämpfen ging, war ihm eigentlich gleichgültig gewesen; er hatte es allein darauf abgesehen, auf eine Art zu sterben, die seinen Vater stolz machen konnte. Aber sein Draufgängertum wurde mit dem Leben und nicht mit dem Tod belohnt, und einen glorreichen Ruf wollte er nicht. Er trat aus der Fremdenlegion aus und stieg mit einem seiner ehemaligen Kameraden ins Fluggeschäft ein, eine kluge Entscheidung, die ihn rasch zu Wohlstand brachte. Doch noch immer, selbst nach zehn Jahren, kam es ihm nicht richtig vor, dass er reich und am Leben sein sollte, während Merle tot und begraben war. Die Beziehungen, die er seither eingegangen war, waren flüchtige, oberflächliche Affären gewesen. Sein Herz war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen, und so zog er es auch weiterhin vor.
Und nun war er Sally Bowes begegnet und wollte sie. Die Vorstellung, sie zu verführen, erregte ihn über alle Maßen. Ihm fiel ein, dass sie gesagt hatte, das Blue Parrot wäre nicht eine solche Art von Club. Vielleicht stimmte das, vielleicht auch nicht. Jack war das ziemlich gleichgültig. Er hatte nur Interesse an ihr. Ihm ging es nur darum, zu gewinnen – die Frau, das Spiel, das Geld.
Er wandte seine Aufmerksamkeit den Spielkarten zu.
„Matty! Matty!“ Sally riss die Tür zu ihrem Schlafzimmer im zweiten Stock auf und eilte hinein. Sie war völlig außer Atem. Das hatte weniger damit zu tun, dass sie zwei Treppen hinaufgestiegen war, als vielmehr damit, dass Jack Kestrel ihr die ganze Zeit nachgesehen hatte. Noch nie hatte sie so bewusst die Blicke eines Mannes wahrgenommen, noch war sie sich überhaupt der Präsenz eines Mannes so bewusst gewesen. Viele Männer strömten durch die Türen des Blue Parrot, reiche Männer, mächtige Männer, charismatische Männer und gelegentlich auch mal einer, der alle diese Eigenschaften in sich vereinte. Niemand hatte je eine solche Wirkung auf sie gehabt wie Jack Kestrel. Keiner war so gefährlich, direkt und gut aussehend, und keiner verfügte über solch einen kühlen Charme.
Und keiner hatte je damit gedroht, ihr Geschäft und damit auch ihr Leben zu ruinieren. Daran musste sie denken, wenn Gefühle für Jack Kestrel ihren Verstand zu umnebeln schienen.
„Da bis du ja, Matty“, stellte Sally atemlos fest, als sie ihre Zofe und einstige Kinderfrau friedlich strickend am Kamin vorfand. „Ich muss mich zum Essen umziehen. Ein Herr wartet unten auf mich. Bitte, hilf mir.“
Mrs. Matson wickelte ihr Wollknäuel geradezu qualvoll langsam auf, spießte die Stricknadeln hinein und stand mühevoll auf. „Was soll die ganze Aufregung?“, fragte sie. „Ein Herr wartet auf Sie, sagten Sie? Lassen Sie ihn doch warten!“
Sally lief zum Kleiderschrank und zog die Tür auf. Matty war schon seit ewigen Zeiten in ihrer Familie; sie hatte alle drei Bowes-Mädchen großgezogen, und als Sally wegen ihrer Heirat das Elternhaus verlassen hatte, war sie mitgekommen und ihre Zofe geworden. Sie hatte Sally durch dick und dünn, in guten wie in schlechten Zeiten begleitet. Nachdem Sally beschlossen hatte, den Club zu eröffnen, hatte sie Matty taktvoll vorgeschlagen, ob sie vielleicht lieber in den Ruhestand gehen würde, als in einem dekadenten Londoner Club zu leben. Daraufhin hatte Matty resolut erklärt, dass sie sich das um nichts in der Welt entgehen lassen wollte. Sie hatte sich ein kleines Haus in Pinner an der Strecke der neuen Metropolitan Railway gekauft, aber die meiste Zeit verbrachte sie im Club.
„Immer mit der Ruhe“, sagte sie jetzt, als Sally anfing, verschiedene Kleider von den Bügeln zu nehmen und auf das Bett zu werfen. „Was ist heute Abend bloß in Sie gefahren?“
„Nichts“, erwiderte Sally. „Alles.“ Sie wirbelte herum und ergriff Mattys Hände. „Weißt du, wo Connie hingegangen ist, Matty? Es gibt Ärger. Großen Ärger sogar. Sie hat versucht, jemanden zu erpressen …“
Die Linien um Mattys Mund wurden noch tiefer, als sie die Lippen schürzte; sie sah aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. „Dieses Mädchen ist durch und durch schlecht. Und das wissen Sie auch, Miss Sally, selbst wenn Sie das Gegenteil behaupten. Gott weiß, ich habe sie selbst großgezogen, und sie war ein süßes kleines Kind, aber die Sache mit John Pettifer hat sie verändert …“ Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt macht sie nichts als Ärger.“
Sally ließ ihre Hände los und begann, ihre braungemusterte Bluse aufzuknöpfen.
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