HISTORICAL Band 0264
dass du eine ungewöhnlich attraktive Frau bist. Dass dein Mann kein Interesse an dir hatte, ist in keiner Weise deine Schuld.“
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Vielen Dank.“ Sie klang so höflich, als hätte er ihr eben eine Tasse Tee angeboten. Jack verspürte plötzlich den brennenden Wunsch, sie leidenschaftlich zu küssen.
„Und es hat nie einen anderen gegeben?“, wollte er wissen.
Sie schüttelte den Kopf.
„Warum dann ich?“, fragte Jack. „Und warum jetzt?“
Sie sah ihn mit ihren schönen braunen Augen an und zögerte.
„Sally?“, beharrte er.
„Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber … ich wollte es so.“ Sie zuckte die Achseln. „Das mag sich etwas schamlos anhören …“
„Dafür ist es nun ein wenig zu spät.“
Sie lächelte. „Ja.“ Ihr Blick wurde offen und direkt. „Ich wollte herausfinden, wie es ist.“ Plötzlich errötete sie. „Und ich wollte es mit dir herausfinden.“
„Du hättest mich vorwarnen können“, wandte Jack sanft ein. „Es wäre schöner gewesen.“ Er lächelte. „Schöner für dich.“
Sie sah befangen zur Seite. „Es war ja nicht schlecht für mich.“ Sie malte mit dem Finger Kreise auf das Laken. „Wäre es für dich ein Unterschied gewesen, wenn du Bescheid gewusst hättest? Hättest du mich dann zurückgewiesen?“
Jack dachte nach. Er musste an das unstillbare Verlangen denken, das er für sie empfunden hatte, dieses Verlangen, das er bereits von Neuem verspürte. Er schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er. Er bekam einen Zipfel des Bettlakens zu fassen. „Aber ich bin ja auch schließlich ein Draufgänger.“
Ihre Augen weiteten sich erstaunt. „Ich dachte …“ Sie musste sich räuspern. „Ich dachte, du würdest jetzt gehen?“
Er lachte und zog so plötzlich das Laken weg, dass sie bis zur Taille nackt vor ihm lag. „Wie viel du noch lernen musst, mein Liebling.“
4. KAPITEL
Sally wachte auf, als die Morgensonne sanft in ihr Gesicht schien. Ganz langsam schlug sie die Augen auf. Sie ahnte, dass es ziemlich früh sein musste, denn das Tageslicht hatte noch nicht seine volle Kraft. Draußen auf der Straße hörte sie das Rumpeln der Kutschenräder und die Stimmen der Händler, die ihre Stände aufbauten, aber daneben waren auch das Zwitschern der Vögel und das Plätschern des Brunnens im Garten zu vernehmen. Friedliche Geräusche.
Sie gähnte, streckte sich und tastete mit der Hand neben sich. Das Bett war leer. Irgendwie hatte sie damit gerechnet. Jack war gegangen, während sie geschlafen hatte.
In dieser langen, heißen Nacht hatte er sie noch zweimal geliebt. Er hatte sie Dinge gelehrt, von denen sie nie zu träumen gewagt hatte; sie an Orte geführt, von deren Existenz sie nie gewusst hatte, und ihr etwas über sich selbst und ihre Reaktionen beigebracht, das sie überraschte und überwältigte. Mit großer Zärtlichkeit hatte er sie in den Armen gehalten, aber trotz ihrer Unerfahrenheit hatte sie das nicht mit Liebe verwechselt. Sie wusste, dass er sie nicht liebte. In ihm steckte etwas – dessen war sie sich schon jetzt nur zu deutlich bewusst –, das sie nicht erreichen konnte; irgendetwas Dunkles, das er fest in sich verschlossen hielt.
Auf dem Nachttisch hatte er ihr eine Nachricht hinterlassen. „Dinner heute Abend um acht.“ Die selbstbewusste Handschrift auf dem weißen Papier verriet, dass er nicht einen Moment lang die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, sie könnte ablehnen. Sally musste unwillkürlich lächeln. Also war es noch nicht vorbei. Ihr wurde heiß bei dem Gedanken.
Seufzend setzte sie sich auf, griff nach ihrem Morgenmantel und schlüpfte in die zierlichen, mit Schwanendaunen gefütterten Pantöffelchen, eine der wenigen Frivolitäten, die sie sich leistete. Beim Anblick des zerknitterten fuchsiafarbenen Kleides auf dem Boden runzelte sie die Stirn, doch als sie das zerschnittene Korsett sah, wurde sie rot. Von nun an würde sie Mattys Schneiderschere wohl immer mit ganz anderen Augen sehen.
Während sie ihr Zimmer verließ und sich auf den Weg zur Treppe machte, dachte Sally an die Ereignisse der vergangenen Nacht. Ihr ganzer Körper schien sich anders anzufühlen, weich, schwer, gesättigt. Da war kein schlechtes Gewissen, sie war vielmehr erstaunt über sich selbst. Erstaunt und erfreut … Doch hinter dieser Freude verbarg sich auch etwas Angst. Sie hatte Angst, sich letzte Nacht vielleicht in Jack Kestrel verliebt zu haben. Alles war so schnell gegangen. Wenn sie
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