HISTORICAL BAND 295
drücken und ihm aufmunternde Worte zuflüstern konnte. Die Tränen, die ihr in die Augen steigen wollten, drängte sie rasch zurück. Wenn sie die nächste Zeit unbeschadet überstehen wollte, musste sie allen Mut aufbringen, den sie besaß.
Das Problem war nur, dass sie sich noch nie im Leben so mutlos gefühlt hatte.
3. KAPITEL
Im Freien angekommen, gesellte Wulfrum sich zu Halfdan und Olaf Eisenfaust. Seine Männer liefen zwischen den Gefallenen hin und her und sammelten Waffen, Rüstungsteile und alles andere von Wert ein. Der Kampf war kurz, aber heftig gewesen, da die Angelsachsen sich mit ganzem Körpereinsatz gegen die Invasoren gewehrt hatten, obwohl sie hoffnungslos in der Unterzahl gewesen waren. Wulfrum bewunderte die Krieger für ihren Mut. Ihre Anführer waren gefallen, doch man hatte eine recht große Zahl Männer gefangen nehmen können. Nach dem finsteren Gesichtsausdruck zu urteilen, den die meisten von ihnen zeigten, war ihr Kampfeswille ungebrochen, doch in diesem Moment überwog die Angst. Dass sie um ihr Leben fürchteten, war gut, weil es bedeutete, dass sie sich nicht zu irgendwelchen Dummheiten verleiten ließen. Er wollte nicht noch mehr Blut vergießen, schließlich benötigte er Leute, die anpacken konnten, da sie zukünftig für ihn die Felder bestellen würden. Allerdings konnte es nichts schaden, wenn er die Gefangenen noch eine Weile über seine Absichten im Ungewissen ließ.
Wulfrum wandte sich von den Gefangenen ab und begegnete dem eindringlichen Blick seines Fürsten.
Mit gesenkter Stimme sprach Halfdan: „Verteidige diesen Ort hier gut, Wulfrum. Seine Lage an der Straße nach Norden macht ihn für uns strategisch bedeutsam.“
„Ihr könnt Euch darauf verlassen.“
„Ich weiß.“ Halfdan klopfte ihm auf die Schulter. „Ich wüsste nicht, wem ich diese Aufgabe lieber übertragen könnte. Aber du wirst hier alle Hände voll zu tun haben. Das Ganze sieht ungewöhnlich verwahrlost aus.“
Wulfrum schaute sich um. „Es hat wohl tatsächlich schon bessere Zeiten erlebt. Aber die werden wiederkommen, das verspreche ich.“
„Warum lässt ein Mann, der etwas auf seinen Namen hält, sein Anwesen so herunterkommen?“
„Ich kann es mir nicht erklären.“
„Es sei denn, es gab hier gar keinen Mann, der das Anwesen geführt hat“, überlegte Halfdan.
„Möglicherweise. Dennoch waren die Angelsachsen organisiert und haben sich tapfer zur Wehr gesetzt. Das deutet auf einen Anführer hin.“
„Dann könnte er im Verlauf des Kampfes gefallen sein.“
„Wahrscheinlich. Diese Leute haben schwere Verluste hinnehmen müssen. Ich werde nachfragen, ob ich etwas herausfinden kann.“
Bevor sie sich zu weiteren Spekulationen verleiten lassen konnten, wurden sie von zwei Kriegern unterbrochen, die einen Gefangenen heranbrachten. Die Hände des Mannes waren gefesselt, sein bleiches Gesicht war von einer Rußschicht bedeckt. Die Tonsur und die Kutte ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen christlichen Priester handelte.
„Seht, was wir gefunden haben, Herr.“ Einer der Wächter zog verächtlich die Oberlippe hoch, während er auf den Gefangenen deutete. „Dieses Schwein hatte sich in der Scheune versteckt.“
„Versteckt?“ Voller Verachtung musterte Halfdan den Priester von oben bis unten. „Das wundert mich eigentlich nicht. So wie er aussieht, ist er ein ziemlich klägliches Exemplar. Er ist bestimmt schon fünfzig.“ Er drehte sich zu Wulfrum um. „Was soll mit ihm geschehen? Sollen wir ihn an die Tür seiner verfluchten Kirche nageln?“
„Ich bitte um Verzeihung, Herr“, warf der Wachmann ein. „Aber die Kirche haben wir niedergebrannt.“
Halfdan blickte zu einer dichten Rauchsäule, die in einiger Entfernung in den Himmel aufstieg. „Ah, tatsächlich. Zu schade. Nun, dann spießen wir ihn eben auf.“
Grinsend machten sich die Männer daran, den Befehl auszuführen, aber Wulfrum hob schnell eine Hand. „Nein, noch nicht. Er könnte noch von Nutzen sein.“ Er sah den zitternden Mann an. „Wie heißt du, Priester?“
„Pater Willibald, Herr.“
Halfdan schaute Wulfrum ungläubig an. „Du willst diesen rasierten Hund behalten?“
„Ja, das will ich.“
„Gut, wenn es so sein soll. Bringt ihn zu den anderen Gefangenen.“
Sichtlich enttäuscht zerrten die Wachen den Geistlichen hinter sich her.
„Lass einige von deinen Männern die Wälder durchsuchen“, schlug Halfdan dann vor. „Ich vermute, dass einige Diener sich dort
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