HISTORICAL BAND 295
dass Elgiva tatsächlich beabsichtigte zurückzukehren, sobald sie den Mann versorgt hatte. Sie hatte Ravenswood vor Stunden verlassen und damit einen ausreichenden Vorsprung, um einen erfolgreichen Fluchtversuch zu wagen. Und doch waren sowohl Leofwine als auch Hilda fest davon überzeugt, dass sie Wort halten würde. Auch wenn er vor Wut kochte, brachten ihn diese Beteuerungen ins Grübeln. Gegen jede Vernunft hatte er nicht angeordnet, die Flüchtenden zu verfolgen, sondern gewartet. Indes hatte er Hilda und den Schmied zu den Hunden in den Zwinger sperren lassen und ihnen ausreichend Zeit gegeben, darüber nachzudenken, welches Schicksal sie wohl erwartete.
„Wir werden diese Loyalität auf die Probe stellen“, erklärte er nun. „Wir werden sehen, wie weit sie im Angesicht der Peitsche reicht. Ich glaube, deine Freunde werden mir schon bald erzählen, was ich wissen will.“
Elgiva wurde blass, Tränen stiegen ihr in die Augen. „Tut ihnen bitte nicht weh. Sie haben nichts verbrochen …“
„Dann sag mir, wo ich diese Flüchtlinge finden kann.“
„Das kann ich nicht, und das wisst Ihr auch.“
Er kam einen Schritt auf sie zu. Elgiva schluckte, wich aber nicht zurück, zumal sie wusste, Eisenfaust stand dicht hinter ihr.
„Ich frage dich jetzt zum letzten Mal. Wo sind sie, Elgiva?“
Als sie weiter schwieg, wanderte sein Blick zu Eisenfaust. „Geh zu ihnen und finde es heraus.“ Er händigte dem Riesen die Peitsche aus.
„Wird erledigt, Herr.“
Voller Entsetzen sah Elgiva ihn gehen. Dann war sie mit Wulfrum allein, der eine unerbittliche Miene aufgesetzt hatte.
„Tut das bitte nicht“, flüsterte sie.
„Wenn dir das Wohl anderer wirklich am Herzen liegt, dann solltest du dir vorher Gedanken über die möglichen Folgen deines Handelns machen.“
„Dann bestraft mich, nicht die anderen.“
Tränen schimmerten in ihren bernsteinfarbenen Augen. Er fragte sich, ob sie diese Tränen vergießen würde, bezweifelte es aber. Mittlerweile war er mit ihrem Mut und ihrem Stolz recht gut vertraut.
„Glaub mir, Elgiva, du wirst lernen, mir zu gehorchen.“ Er ließ eine kurze Pause folgen. „Das Leben deiner Komplizen wird verwirkt sein, wenn du noch einmal versuchst, Ravenswood ohne mein Wissen zu verlassen. Das ist meine letzte Warnung.“
Ihr Herz klopfte noch aufgeregter, dennoch sah sie ihn an, voller Furcht und Abscheu. Mit großer Sorgfalt wählte sie ihre Worte. „Dann werdet Ihr sie nicht töten?“
„Dieses Mal nicht. Aber ihr zukünftiges Wohlergehen hängt allein von dir ab.“
„Ich verstehe.“
„Wirklich?“ Er kam noch etwas näher. „Ich will es hoffen.“
Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, nicht vor ihm zurückzuweichen, so Furcht einflößend baute er sich vor ihr auf. In dem kleinen Gemach wirkte er noch größer und mächtiger. Sein finsterer Gesichtsausdruck ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen.
„Bis auf Weiteres wirst du hier im Frauengemach bleiben und es nicht verlassen.“
Nach kurzem Überlegen wurde ihr klar, was das bedeutete. „Aber was ist mit den Verwundeten? Und mit Ulric und Pybba?“
„Das hättest du dir früher überlegen müssen.“
„Aber, Herr, ich …“
„Du wirst tun, was ich dir sage!“, unterbrach er sie und sah, wie für einen winzigen Moment Zorn in ihren Augen aufblitzte. „Ansonsten werde ich dich so züchtigen, dass du es nie wieder vergisst.“
In hilfloser Wut ballte sie die Hände zu Fäusten, aber sie wusste, Widerspruch würde zu nichts führen. In seiner derzeitigen Verfassung war er fähig, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Mit der Kraft seiner Hand hatte sie bereits Bekanntschaft gemacht.
„Wie lange muss ich hierbleiben?“
„So lange, wie ich es will.“
Elgiva widerstand der Versuchung, ihm zu sagen, was sie von ihm hielt, allerdings war es sicher nicht schwer zu erraten, da die Wut ihr ins Gesicht geschrieben stand.
Er zog eine Braue hoch und betrachtete Elgiva forschend. „Vielleicht sollte ich dir deine Kleidung abnehmen, um sicherzustellen, dass du dein Gemach nicht verlässt.“
Elgivas Miene zeigte eine interessante Vielfalt an Gefühlsregungen, die Wulfrum ein Lächeln entlockten, als eine verführerische Röte sich von ihrem Hals aus über ihre Wangen bis hin zum Haaransatz ausbreitete.
Als sie sein Lächeln sah, erkannte sie, welches Vergnügen es ihm bereitete, sie zu ärgern. Am liebsten hätte sie ihm jedes Schimpfwort an den Kopf geworfen, das ihr in den Sinn kam,
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