HISTORICAL BAND 295
schwachen Lichtschein eines kleinen Feuers konnten sie den verletzten Mann sehen, der auf dem Boden lag. Elgiva und Osgifu knieten sich hin und untersuchten gemeinsam den Patienten. Sie kannte Hunfirth vom Sehen, doch ihr Herz setzte kurz aus, als sie sein blasses Gesicht bemerkte. Sein Atem ging flach und angestrengt. Ein Blick auf seine Verletzungen konnte sie nicht zuversichtlicher stimmen. An der rechten Seite war eine Schwertklinge tief in seinen Leib eingedrungen, und die Stelle, an der der Pfeil aus seiner linken Schulter herausragte, war bereits entzündet und vereitert.
„Dieser Pfeil muss rausgezogen werden, sonst hat Hunfirth keine Chance zu überleben“, erklärte Osgifu. „Und selbst dann ist es noch fraglich, wenn ich mir ansehe, wie viel Blut er bereits verloren hat.“
„Wenn er nicht behandelt wird, dann wird er ganz sicher sterben“, erwiderte Brekka.
Osgifu nickte. „Das ist wahr.“ Sie holte ihren Lederbeutel unter dem Umhang hervor und stellte die Mittel zusammen, die sie benötigen würden.
Die Versorgung des Verletzten dauerte eine Weile, da zum einen die Höhle dafür denkbar ungeeignet war und sie zum anderen nur das Nötigste hatten mitnehmen können. Doch schließlich war es geschafft. Der Patient war inzwischen ohnmächtig geworden, und Elgiva bezweifelte insgeheim, dass er die Nacht überleben würde. Sie wandte sich an Brekka. „Wenn er stirbt, darfst du nicht länger hierbleiben.“
Er schüttelte den Kopf. „Sollte es dazu kommen, werde ich aufbrechen und nach anderen Flüchtlingen suchen, denen ich mich anschließen kann.“
„Es wurde schon genug Blut vergossen. Ich flehe dich an, bring dich in Sicherheit.“
„Wenn ich das tue, dann nur, um weiterhin zu kämpfen.“
Da sie einsah, dass es sinnlos war, weiter auf ihn einzureden, sammelte sie mit Osgifu ihre Sachen ein und machte sich zur Rückkehr bereit. Inzwischen war es noch kälter geworden, und der graue Himmel verfinsterte sich allmählich. Erst da begriff Elgiva, wie viel Zeit sie in der Höhle verbracht hatten. Jetzt mussten sie schnellstens heimkehren, bevor jemandem auffiel, dass sie entwischt waren. Sie verabschiedeten sich von Brekka und gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren, bis sie wieder den Waldrand erreicht hatten. Dank des erneuten heftigen Regens war weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Nicht mehr lange, dann würde die Nacht vollends hereinbrechen und alles in Dunkelheit tauchen.
An der Schmiede angekommen, rechneten sie eigentlich damit, von Leofwine erwartet zu werden, doch der Schmied war nirgends zu entdecken. Elgiva verspürte mit einem Mal Unbehagen. Es war zu ruhig. Das schien auch ihren Begleitern aufgefallen zu sein, da sie eine plötzliche Anspannung bemerkte.
„Geht, Herrin“, drängte Elfric. „Hier seid Ihr nicht in Sicherheit.“
Gerade wollte sie etwas erwidern, als ein gedämpftes Geräusch erklang, wie Metall, das über Stein kratzte. Ehe sie eine Warnung ausrufen konnte, löste sich ein halbes Dutzend dunkler Gestalten aus den Schatten des Gebäudes, und im nächsten Moment waren sie von bewaffneten Kriegern umzingelt. Elgiva schnappte nach Luft, als sie Eisenfaust erkannte. Er machte einen Schritt auf sie zu und fasste sie am Arm, dann wandte er sich zu seinen Kameraden um. „Nehmt die beiden anderen mit und legt sie in Ketten.“
Elfric und Osgifu wurden sofort abgeführt, während Elgiva mit wild klopfendem Herzen dastand und den hünenhaften Mann ansah, dessen Gesicht keine Regung zeigte. Die Hand fest um ihren Arm gelegt, zog er sie hinter sich her, wobei er nicht den anderen folgte, sondern auf den Wohnturm zusteuerte. Im Frauengemach angekommen, öffnete er die Tür und schob Elgiva nach drinnen. Im schwachen Lichtschein des Herdfeuers bemerkte sie eine große, dunkel gekleidete Gestalt. Als Eisenfaust mit ihr hereinkam, drehte sich der Mann zu ihnen um, und Elgiva stockte der Atem. Wulfrum!
„Ich wünsche dir einen guten Abend. Ich warte schon seit einer Weile auf deine Rückkehr. Vielleicht möchtest du mir ja erzählen, wo du so lange warst.“
Einen Moment lang sahen sie einander nur schweigend an. Das zuckende Licht der Flammen reichte aus, um die Wut in seiner Miene zu erkennen. Sie spürte, wie das Blut aus ihren Wangen wich. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie hatte er es herausgefunden? Welcher unglückliche Zufall hatte ihn herkommen lassen? Sie vermochte nicht zu sagen, was er bereits von Leofwine und Hilda erfahren hatte,
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