HISTORICAL BAND 295
doch sie verkniff es sich. Sie wagte nicht, ihn weiter herauszufordern, da sie wusste, er würde seine Drohung ohne zu zögern in die Tat umsetzen. Dieser Barbar kannte keine Scham.
Tatsächlich hatte sich Wulfrum sehr gut unter Kontrolle. Der Gedanke, Elgiva ohne Kleider vor sich stehen zu sehen, hatte etwas Berauschendes, aber er verzichtete darauf – jedenfalls vorerst. Die Zeit dafür würde kommen. Bis dahin sollte sie in Ruhe darüber nachdenken, wie dumm es von ihr gewesen war, sich ihm zu widersetzen. Er schlenderte an ihr vorbei zur Tür.
„Ich wünsche dir einen schönen Abend, Elgiva.“
Sie warf ihm einen zornigen Blick hinterher und sah zu, wie er die Tür hinter sich ins Schloss zog. Dann hörte sie seine gedämpfte Stimme, als er den Wachen im Korridor Anweisungen gab. Schließlich war alles still. Von hilfloser Wut getrieben, ging sie eine Weile im Zimmer auf und ab. Angst erfüllte ihr Herz, wenn sie daran dachte, was er ihren Gefährten wohl gerade antat, aber sie wollte es lieber nicht wissen. Es war ihr derart wichtig gewesen, Hunfirth und Brekka zu helfen, dass sie das Leben anderer Menschen dabei aufs Spiel gesetzt hatte.
Während sie weiter hin und her ging, bemühte sie sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Um Ulric und Pybba musste sie sich nicht sorgen, das wusste sie. Die beiden waren in Sicherheit, da Wulfrum bestimmt keine unschuldigen Kinder für ihr Fehlverhalten bestrafen würde. Schon wieder Wulfrum! Alles lief immer wieder auf ihn hinaus. Konnte sie ihm in dieser Hinsicht vertrauen? Sie konnte es nur hoffen. Von ohnmächtiger Wut erfasst, warf sie sich aufs Bett. Mit der Faust schlug sie auf die Matratze, ohne dabei sagen zu können, wem ihre Wut eigentlich galt – ihm oder ihr selbst.
5. KAPITEL
In den folgenden zwei Tagen hatte Elgiva genug Zeit, sich auszumalen, was sie Wulfrum antun würde. Ein Wachmann brachte ihr zu essen und zu trinken, und er leerte ihren Eimer aus, doch davon abgesehen bekam sie niemanden zu Gesicht. Je mehr Zeit verstrich, umso mehr schien das Gemach sie einzuengen. Zugleich schlug die Gefangenschaft ihr aufs Gemüt. Von wachsender Unruhe getrieben, fragte sie sich, wie es wohl Osgifu und den anderen ergangen sein mochte. Sie konnte nur hoffen, dass sie bei guter Gesundheit waren. Hatte Leofwine die Wikinger zu der verborgenen Höhle geführt? Waren Hunfirth und Brekka in Gefangenschaft geraten? Lebte Aylwin noch? Kümmerte sich jemand um ihre Neffen? Die Ungewissheit, die sich immer weiter steigerte, ließ sie kaum noch zur Ruhe kommen. Oft und lange lief sie in dem Gemach auf und ab und verfluchte Wulfrum und die anderen Wikinger. Sie bereute nicht, Hunfirth geholfen zu haben. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Wenn sie jetzt nur noch gewusst hätte, dass niemand darunter hatte leiden müssen … Die Untätigkeit war mindestens so schlimm wie die Tatsache, dass sie nicht wusste, was sich jenseits dieses Raums abspielte. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Wulfrum genau diese Wirkung beabsichtigt hatte.
„Zum Teufel mit ihm!“
Allein der Gedanke an diesen Mann genügte, um Wut in ihr hochkochen zu lassen. Er wusste, wie er sie bestrafen konnte, doch ihr war klar, dass dies hier nur ein harmloser Vorgeschmack auf seine wahre Macht war. Ebenso hätte er sie auspeitschen können, bis ihr die Haut in Fetzen vom Rücken hing. In Wahrheit war sie erstaunt, dass er es nicht getan hatte. Ihrer aller Leben lag in seiner Hand, und jeder musste tun, was er verlangte. Warum hatte er dann nichts unternommen? Er hätte ein Exempel an ihr und an allen anderen statuieren können. Aber … vielleicht hatte er das ja längst gemacht. Vielleicht hatte er gelogen, als er sagte, er werde ihre Komplizen nicht töten. Vielleicht war ihre Gefangenschaft nur das Vorspiel zu etwas viel Schlimmerem. Es war diese Ungewissheit, die sie von allem am meisten hasste, und das wusste er ganz genau.
„Zum Teufel mit ihm!“, schimpfte sie bestimmt schon zum hundertsten Mal.
Am dritten Tag ihrer Gefangenschaft wurde auf einmal die Tür zu ihrem Gemach geöffnet, und Osgifu kam herein. Elgiva sprang vom Bett auf und sah sie einen Moment lang ungläubig an, dann lief sie zu ihr und fiel ihr um den Hals.
„Oh, Gifu, geht es dir gut? Ich habe mir die schlimmsten Dinge ausgemalt. Hat man dir etwas angetan?“
„Nein, es geht mir gut.“
„Und Hilda und die anderen?“
„Auch ihnen geht es gut.“
„Und die Kinder?“
„Beide wohlauf.“
Elgiva schloss die
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