HISTORICAL BAND 295
zum Großen Saal ersetzen.“
Beim Gedanken an das zersplitterte Holz wurde Elgiva bewusst, wie viel Arbeit noch vor den Männern lag. Schon jetzt waren einige von ihnen damit beschäftigt, das Holz zurechtzusägen, während die Diener begonnen hatten, jene Hütten wiederaufzubauen, die von Halfdans Kriegern zerstört worden waren. Die Bauern waren auf die Felder zurückgekehrt, um sie unter den wachsamen Blicken der Wikinger weiter zu bestellen.
Während Wulfrum erzählte, schlenderten sie weiter und gelangten schließlich zu den Ställen. Dort war alles ruhig, der Geruch nach Heu und Pferd schlug ihnen entgegen. Außer den Tieren hielt sich dort niemand auf. Elgiva musste an das letzte Mal denken, als sie gemeinsam mit ihm hier gewesen war, und mit einem Mal erschien es ihr gar nicht so klug, hier länger zu verweilen.
„Wovor hast du Angst?“, fragte Wulfrum prompt.
„Vor gar nichts.“
„Und warum zitterst du dann?“
Sie biss sich auf die Lippe, da sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte.
„Fürchtest du, ich könnte dich ins Heu stoßen und über dich herfallen?“ Er sah sie genüsslich von Kopf bis Fuß an. „Wobei ich sagen muss, dass das gar keine schlechte Idee wäre.“
Sofort hob sie trotzig das Kinn. „Versucht es, und ich werde Euch mit der Heugabel dort aufspießen!“
„Das hört sich doch schon mehr nach dir an“, erwiderte er amüsiert. „Aber keine Sorge. Mein Leben ist mir viel zu wichtig, als dass ich so etwas wagen würde. Obwohl … du wärst ein solches Risiko durchaus wert.“
Er drehte sie zu sich um und legte ihr beide Hände an die Taille. Elgiva stockte der Atem. Der Stall war menschenleer, in der Ecke lag ein hoher Berg Heu, und Wulfrum war ihr viel zu nah. Unter den süßlichen Geruch von Stroh und Heu mischte sich sein männlicher Duft, verlockend und gefährlich zugleich. Würde er sie wieder küssen? Und falls ja, was würde dann geschehen? Erschrocken darüber, welche Richtung ihre Gedanken nahmen, machte sie einen Schritt zur Seite, entzog sich seinem Griff und betrat den Verschlag, in dem ihre Stute untergebracht war. Lächelnd folgte er ihr und stellte sich vor das Pferd, damit es sich an seinen Geruch gewöhnen konnte und ihn akzeptierte. Dann tätschelte er den Hals des Tiers und strich fachmännisch über Schulter und Rücken.
„Ein hübsches Tier“, stellte er fest. „Aber von zierlicher Statur. Nicht für einen Mann geeignet, eher ein Pferd für eine Frau.“
Elgiva sagte nichts.
„Dein Pferd?“
„Ja. Ein Geschenk meines Vaters.“
„Ein großzügiges Geschenk.“
„Ja.“
„Sie wird gute Fohlen zur Welt bringen“, erklärte er.
Elgiva presste die Lippen zusammen und schwieg. Was sollte sie schon sagen? So wie alles andere gehörte ihm jetzt auch ihr Pferd. Er konnte damit machen, was er wollte. So wie er ja auch mit ihr alles machen konnte, was er wollte. Ablehnung gegen alles, was er darstellte, regte sich in ihr, und sie drehte sich schnell zur Seite.
Wulfrum stutzte, da er merkte, dass ihre Stimmung plötzlich umgeschlagen war. „Elgiva?“
Er streckte eine Hand nach ihr aus, aber sie duckte sich und entkam ihm unter dem Hals des Pferdes hindurch, dann rannte sie in Richtung Stalltür davon. Er rief sie, doch sie blieb nicht stehen. Verblüfft sah er ihr nach. Schließlich schüttelte er ratlos den Kopf. „Was in Odins Namen sollte denn das?“
Die Stute schnaubte und stampfte einmal mit dem Vorderhuf auf, während Wulfrum weiter grübelte. Frauen waren genauso unberechenbare Geschöpfe wie Pferde. Man musste behutsam mit ihnen umgehen, aber sie mussten auch lernen, wer ihr Herr war. Vielleicht hätte er Elgiva gleich in jener ersten Nacht nehmen sollen, um ihren Gehorsam zu erzwingen. Es war eine neue Erfahrung gewesen, dass eine Frau sich so sehr gegen ihn sträubte, und anfangs hatte er das sogar als aufregend empfunden. Dann jedoch hatte er die Mischung aus Angst und Abscheu in ihren Gesichtszügen gesehen und sofort von seinem Vorhaben abgelassen. Noch nie hatte er eine Frau gezwungen, ihm zu Diensten zu sein, und das würde er auch bei ihr nicht tun, obwohl er sie mehr begehrte als jede andere. Also hatte er abgewartet. Doch inzwischen war er sich nicht sicher, wie lange er das Warten noch ertrug. Nacht für Nacht lag er neben ihr, hörte in der Dunkelheit ihren ruhigen, gleichmäßigen Atem und betrachtete sie, sobald die Dämmerung einsetzte und das erste Licht des neuen Tages in die Kammer fiel. Es kostete
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