HISTORICAL BAND 295
Küsse über sie hatten, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Sie würde es nicht zulassen, dass er so etwas noch einmal mit ihr machte. Er wollte sie erobern, wie er ihr Land erobert hatte. Für ihn war sie eine Herausforderung, weiter nichts. Doch sie würde sich ihm nicht ergeben. Zu ihrem eigenen Entsetzen bemerkte Elgiva, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Hastig suchte sie Zuflucht in der Kräuterkammer, bevor irgendjemand es sehen konnte.
Als sie sich einige Zeit später wieder beruhigt hatte, verfluchte Elgiva sich für ihre Dummheit, diesem Zwischenfall viel zu viel Bedeutung beigemessen zu haben. Immerhin kam Wulfrum gar nicht darauf zu sprechen, als sie sich am Abend im Saal wiedersahen. Er schien auch nicht wütend auf sie zu sein. Vielmehr begrüßte er sie höflich, als sie neben ihm an der Tafel Platz nahm. Den Vorfall, der sie so in ihren Grundfesten erschüttert hatte, hatte er offenbar längst vergessen. Wahrscheinlich ist er daran gewöhnt, sich von Frauen zu nehmen, was er will, und danach nie wieder zurückzublicken, dachte sie bitter. Auch wenn er ihr Ehemann war, gab sie sich nicht der Illusion hin, ihm mehr zu bedeuten als irgendeine andere Frau. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie ihm gehörte und er sie nehmen konnte, wann immer ihm der Sinn danach stand. Als sie seinen Kuss erwidert hatte, musste er den Sieg gewittert haben. Sie fühlte sich von ihrer eigenen Schwäche angewidert. Besaß sie etwa so wenig Rückgrat, dass ein Mann sie mit einem einzigen Kuss erobern konnte? Elgiva verzog den Mund. Wie dumm sie doch war! Er würde in ihr niemals etwas anderes sehen als eine Siegestrophäe.
10. KAPITEL
Die Tage vergingen, und der wärmende Sonnenschein vertrieb allmählich die düstere Stimmung über Ravenswood. Die Menschen im Dorf gingen wieder fast wie früher ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Schließlich mussten die Felder bestellt und das Vieh versorgt werden, und es musste jemand bestimmt werden, der das alles überwachte. Da der Verwalter beim Angriff der Wikinger zu Tode gekommen war, benötigte Wulfrum dringend einen Nachfolger. Er beschloss, Elgiva um Rat zu fragen.
„Wer ist deiner Meinung nach am besten für das Amt des Verwalters geeignet?“
Nachdem sie sich von der Überraschung erholt hatte, nach ihrer Meinung gefragt zu werden, antwortete sie ohne nachzudenken: „Gurth. Er hat Verstand, und er kann zupacken. Mein Vater hat ihn immer als zuverlässig und ehrlich eingeschätzt.“
Daraufhin wurde Gurth in den Großen Saal gerufen, ein kleiner, stämmiger Mann mittleren Alters. Er gab er eine beeindruckende Erscheinung ab, da er ein gehöriges Maß an Selbstsicherheit ausstrahlte.
Äußerlich völlig ruhig stand Gurth vor Wulfrum und versuchte, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Was könnte ich nur getan haben, dass der Jarl mich zu sich rufen lässt? fragte er sich. Er sah kurz zu Lady Elgiva, aber ihre Miene war unbewegt und verriet nichts darüber, weshalb man ihn herbestellt hatte. Als er allerdings hörte, was Wulfrum ihm zu sagen hatte, konnte er sein Erstaunen und seine Freude nicht verbergen.
„Ich brauche einen Mann, dem ich vertrauen kann“, sagte Wulfrum. „Meine Frau ist der Meinung, dass du dafür der richtige Mann bist.“
„Die Lady ehrt mich“, erwiderte Gurth.
„Wirst du mir als Verwalter dienen?“
Gurth spürte, wie sich alle Blicke auf ihn richteten. Vielleicht war es purer Zufall, doch er bemerkte, dass mancher von Wulfrums Männern eine Hand auf das Heft seines Schwerts gelegt hatte. Aber er war nicht so dumm, auf eine so bedeutsame Beförderung zu verzichten. Er brauchte nur einen Moment, um seine Entscheidung zu treffen.
„Das werde ich, Herr.“
Wulfrum lächelte zufrieden. „Sehr gut. Du wirst deine Arbeit sofort aufnehmen und mir unmittelbar Rede und Antwort stehen. Morgen früh werden wir ausreiten, damit ich alle Einzelheiten über Ravenswood in Erfahrung bringen kann. Ich will wissen, wie viele Kühe und Hühner es gibt, wie viele Säcke Getreide und wie viel Heuballen wir haben.“
„Ihr werdet alles erfahren, was Ihr wissen wollt, Herr.“
Da es für den Augenblick weiter nichts zu bereden gab, konnte Gurth gleich darauf wieder gehen. Er verbeugte sich vor dem Jarl und verließ den Saal.
„Ich glaube, er ist eine gute Wahl“, sagte Wulfrum, als der Mann außer Sichtweite war.
„Falls nicht, werde ich ihn einen Kopf kleiner machen“, warf Eisenfaust ein.
Als Wulfrum Elgivas entsetzte
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