HISTORICAL BAND 295
im Haushalt bestand unter anderem darin, zu wissen, zu welchen Mitteln man greifen musste, um vom Fieber bis zur Schnittwunde, von der Verbrennung bis zum Zahnschmerz alles zu behandeln und zu lindern. Das war eine Rolle, die Elgiva gefiel.
Während sie in ihre Arbeit vertieft war, ging ihr auf einmal der Gedanke durch den Kopf, dass sie über beträchtliche Macht verfügte, denn nicht alle Pflanzen besaßen ausschließlich Heilkraft. Drei oder vier Samen vom Fingerhut konnten Herzschmerzen lindern, aber elf wirkten tödlich. Ein paar Beeren eines Nachtschattengewächses in einem Eintopf konnten die gleiche Wirkung erzielen, ebenso ein Blatt oder die gemahlene Wurzel des Blauen Eisenhuts. Selbstironisch schob sie diese Gedanken beiseite. Die Chance, alle Invasoren auf einmal zu töten, war winzig, und die Überlebenden würden schon bald dahinterkommen, was ihren Kameraden zugestoßen war, und fürchterliche Rache üben. Sollte Halfdan herausfinden, dass einer seiner Jarls einer Hinterlist zum Opfer gefallen war, würde er keine Gnade kennen. Außerdem wusste sie, es war eine Sache, über einen Mord nachzudenken, eine ganz andere aber, ihn tatsächlich zu begehen. Für die Wikinger mochte ein Menschenleben keinen Wert haben, doch sie selbst dachte anders. Ohnehin war Gift die Waffe eines Feiglings. Sie mochte die Invasoren verabscheuen, dennoch konnte sie nicht kaltblütig morden. Ihre Aufgabe war es, Leben zu retten, nicht zu vernichten.
Sie wurde in ihren Überlegungen von Hilda unterbrochen, die zur Tür hereingestürmt kam.
„Helft mir, Herrin!“, rief sie atemlos. „Ich flehe Euch an!“
„Was ist denn passiert?“ Elgiva drehte sich zu ihr um, wischte sich die Hände an der Schürze ab und breitete die Arme aus. Hilda warf sich ihr an den Hals und klammerte sich an sie. Osgifu legte verwundert den Stößel zur Seite, mit dem sie gearbeitet hatte.
„Was ist los, Kind? Bist du verletzt?“
Hilda schüttelte den Kopf, doch bevor sie etwas antworten konnte, tauchte Ceolnoth mit einem halben Dutzend Krieger auf. Er entdeckte Hilda und grinste breit. „Komm zu mir, mein Vögelchen!“, rief er, fasste Hildas Handgelenk und zog sie fort von Elgiva. Die junge Frau kreischte und sträubte sich, doch er hielt sie mühelos fest.
„Was hat das zu bedeuten?“, wollte Elgiva wissen. „Ihr habt kein Recht, meiner Dienerin etwas anzutun.“
„Ich will ihr ja gar nichts antun“, erwiderte er. „Ich will sie zur Frau nehmen.“
Osgifu warf ihm einen zornigen Blick zu. „Das könnt Ihr nicht ohne die Erlaubnis von Lord Wulfrum.“
„Die habe ich. Die Frau gehört mir.“
„Sie gehört Euch, Wikinger?“
Osgifu griff wieder nach dem Stößel und machte einen Schritt auf ihn zu, aber Elgiva ging dazwischen und legte ihr eine Hand auf den Arm.
„Er sagt die Wahrheit, Gifu. Lord Wulfrum hat es ihm erlaubt.“
Entsetzen zeichnete sich auf dem Gesicht der älteren Frau ab. „Ist das wahr?“
„Ja.“
„Eure Herrin spricht die Wahrheit“, warf Ceolnoth immer noch grinsend ein.
Hilda brach in Tränen aus.
„Kannst du nichts dagegen tun, Elgiva?“, fragte Osgifu.
„Das habe ich versucht, aber Wulfrum lässt sich nicht umstimmen. Wären genügend Frauen da, würde er sie alle mit seinen Kriegern verheiraten.“ Sie wandte sich an Ceolnoth. „Geht und wartet draußen. Hilda kommt gleich zu Euch, aber zuerst will ich mit ihr reden.“
Einen Moment lang stand er unschlüssig da, und sie glaubte schon, er würde sich weigern, doch schließlich lenkte er ein.
„Gut, Herrin. Aber haltet sie nicht zu lange auf. Ich verzehre mich voller Ungeduld nach meiner Braut.“
Dann zogen sich die Krieger unter lautem Gelächter zurück. Kaum hatte Osgifu die Tür hinter ihnen geschlossen, wandte sich Elgiva an ihre Dienerin.
„Du weißt, ich kann nichts tun, Hilda.“
„Ich will ihn nicht heiraten.“
Elgiva sah Osgifu Hilfe suchend an, woraufhin diese ebenfalls das Wort ergriff.
„Hilda, hör mir zu. Dir bleibt nichts anderes übrig, als Ceolnoth zu heiraten, wenn du nicht zur leichten Beute für alle anderen Dänen werden willst.“
Hilda schnappte entsetzt nach Luft und sah sie mit aufgerissenen Augen an.
„Gifu hat recht“, sagte Elgiva. „Uns bleibt lediglich, von zwei Übeln das Kleinere zu wählen. Als Ehefrau von Ceolnoth wirst du vor seinen Kameraden sicher sein.“
„Er hat sie bereits gezwungen, ihm gefügig zu sein“, gab Osgifu zu bedenken. „Kein Wunder, dass sie ihn nicht haben
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