HISTORICAL BAND 295
richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt. Es war noch gar nicht lange her, da wäre eine solche Unterhaltung für sie undenkbar gewesen. Niemals hätte sie gedacht, so viel über ihn zu erfahren – und so viel erfahren zu wollen .
Lange Zeit lagen sie unter dem Baum und genossen die Wärme der Sonne. Keiner von ihnen hatte es eilig, und beide spürten sie, dass sich zwischen ihnen etwas Grundlegendes verändert hatte. Jeder von ihnen fürchtete, die zerbrechliche Harmonie zu stören, wenn er etwas tat oder sagte.
Die Vorbereitungen für das Nachtmahl waren bereits im Gange, und Stimmengewirr und Gelächter schlugen ihnen entgegen, als sie den Saal betraten. Viele Anwesende drehten sich zu ihnen um, und mancher lächelte wissend. Elgiva wusste, was sie dachten: zwei Liebende, die von einem ungestörten Stelldichein zurückkehrten. Ganz so falsch lagen sie mit ihren Vermutungen ja auch nicht, weshalb sie ihren Ehemann ein wenig verlegen ansah. Der schien sich überhaupt nicht daran zu stören. Wie üblich nahm er sich die Zeit, mit einigen seiner Männer ein paar Worte zu wechseln. Sie hingegen hätte sich am liebsten zurückgezogen und irgendwo verkrochen, doch das wurde durch seine Hand auf ihrem Arm unmöglich gemacht.
„Bleib bei mir, Elgiva.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl, Wulfrum.“ Ihr Tonfall war unterwürfig, doch davon ließ er sich nicht täuschen.
„Es wäre schön, wenn das stimmen würde, aber so leichtgläubig bin ich nicht.“
Später am Abend zogen sie sich in ihr Gemach zurück und liebten sich wieder. Auch diesmal war er behutsam und geduldig, damit sie an dieser Erfahrung genauso viel Freude empfand wie er. Elgiva erwies sich als willig, sogar als begierig, und brachte seiner Leidenschaft so viel Verlangen entgegen, dass er sich in ihr verlor und dabei die Vergangenheit und die Grausamkeit der Welt vergaß. Außer Elgiva existierte für ihn nichts mehr.
Als sie anschließend nebeneinander lagen und einander in den Armen hielten, träumte er von einer Zukunft, die sie sich gemeinsam schaffen konnten. Er hatte gehört, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau stand, doch bislang hatte er das nicht geglaubt. Doch jetzt, da er Elgiva an seiner Seite hatte, fühlte er sich unbesiegbar. Keine andere Frau hatte je solche Empfindungen und Überlegungen bei ihm ausgelöst. Bei den meisten konnte er sich nicht mal mehr an ihr Aussehen erinnern. Er wusste nur, er hatte die eine gefunden, die er, ohne es zu wissen, gesucht hatte. Eine Frau, die er verehren und der er vertrauen konnte.
Immer mehr erfreute sich Wulfrum an seinem Besitz, wenn er die fruchtbaren Äcker sah, auf denen das Getreide in die Höhe schoss. Unter seiner Herrschaft blühte Ravenswood wieder auf. Elgiva verfolgte die Entwicklung aufmerksam und war längst zu der Ansicht gelangt, dass ihr Ehemann es verstand, das Anwesen zu leiten. Die Nordmänner waren zwar in erster Linie Krieger, die allein mit ihrem Aussehen jedem Gegner Angst einjagten, doch sie konnten auch zupacken und arbeiten. Ihre Landsleute würden sich zwar wahrscheinlich nie darüber freuen, dass die Wikinger ihr Land besetzten, aber zumindest hatten sie zähneknirschend akzeptiert, dass sie da waren und nicht wieder gehen würden.
Von Zeit zu Zeit erreichten sie Neuigkeiten aus entlegenen Regionen. Halfdan hatte die Herrschaft über York erlangt, und seine Krieger zogen weiter durch Northumbria. Ein Großteil des Königreichs unterstand jetzt der Kontrolle der Dänen, und es gab wenig, was die Angelsachsen dagegen hätten unternehmen können. Wie es hieß, lehnte sich das Königreich Wessex noch gegen die Wikinger und ihren Eroberungsfeldzug auf, und manche hofften, dass der Widerstand Nachahmer fand. Andere beteten, genau das möge nicht passieren, weil sie genug hatten von Krieg und Zerstörung. Hier und da regte sich Widerstand in Northumbria, aber der wurde jedes Mal erbarmungslos niedergeschlagen.
Elgiva betete insgeheim, dass Aylwin auf sie gehört und seinen Plan aufgegeben hatte. Wenigstens hatte sie von ihm nichts mehr gehört. Sie selbst hatte für den Rest ihres Lebens genug Blutvergießen gesehen. Krieg bedeutete Tod und Zerstörung, und ein verwüstetes Land konnte die Menschen nicht ernähren. Frieden dagegen bedeutete eine Zukunft für alle. Es hatte keinen Sinn, wenn man versuchte, in der Vergangenheit zu leben. Vielmehr musste man versuchen, aus den Gegebenheiten das Beste zu machen.
Ravenswood entwickelte sich immer mehr zu einem
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