HISTORICAL BAND 295
Mannes bereitete ihr Unbehagen, und sie sehnte sich danach, ihn wieder davonreiten zu sehen. Nachdem sie bereits geglaubt hatte, ihn niemals wiedersehen zu müssen, war die Überraschung umso unangenehmer.
„Das ist wirklich unangenehm“, stimmte Osgifu ihr zu, als sie sich später darüber unterhielten. „Schlimmer noch ist, dass er immer noch lebt und unversehrt ist. Die Götter haben meine Gebete wohl nicht erhören wollen.“
„Zum Glück reiten sie morgen ab.“
„Dann sind wir ihn ja bald wieder los.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Welche Neuigkeiten haben die Reiter aus York mitgebracht?“
Aufmerksam hörte sie zu, wie Elgiva zusammenfasste, was sie erfahren hatte.
„Ich muss Aylwin eine Nachricht überbringen und ihn warnen, dass er sich zurückziehen soll.“
„Du kannst nicht das Risiko eingehen, Ravenswood zu verlassen und dich auf die Suche nach ihm zu begeben.“
„Ich weiß. Aber es ist trotzdem möglich, ihm eine Mitteilung zukommen zu lassen.“
„Und wie?“, wollte Osgifu wissen.
„Über Leofwine. Kannst du ihm sagen, was los ist, und ihn bitten, Brekka aufzuspüren? Ich weiß, die Rebellen ziehen mit ihrem Lager oft um.“ Sie machte eine kurze Pause. „Es ist das Einzige, was ich noch für Aylwin tun kann. Lass uns beten, dass er die Warnung ernst nimmt.“
„Wollen wir es hoffen. Und wir sollten ebenfalls hoffen, dass Wulfrum niemals erfährt, dass jemand ihn hintergeht.“
„Es ist nicht so, als wollte ich Wulfrum hintergehen. Ich will nur weiteres Blutvergießen verhindern.“
„Das wird er aber nicht so sehen.“
„Ja, ich weiß“, sagte Elgiva leise. „Doch ich kann nicht tatenlos zusehen, wie Aylwin und die anderen abgeschlachtet werden.“
Nachdem Osgifu sich auf den Weg ins Dorf gemacht hatte, ging Elgiva im Gemach auf und ab, da die Anspannung und die innere Unruhe übermächtig waren. Es kam ihr vor, als würde jede Wendung der Ereignisse sie tiefer und tiefer in die Täuschung verstricken. Sie musste etwas tun, um sich abzulenken, und sich von den Besuchern zurückziehen, bis die Männer abgereist waren. Glücklicherweise hatte sie, wie immer, genug zu spinnen, um sich bis zum Nachtmahl zu beschäftigen. Bei den Mahlzeiten würde sie sich im Saal sicher fühlen, weil die Besucher dann in der Unterzahl waren.
Den Nachmittag über beschäftigte Elgiva sich an ihrem Spinnrad, bis sie das Bedürfnis nach frischer Luft verspürte. Also verließ sie das Gemach und ging in Richtung Koppel. Die Sonne schien, es war angenehm warm, und es duftete nach Blumen und gemähtem Gras. Die Pferde standen in dem eingezäunten Bereich und grasten gemächlich, aber Elgiva war so in Gedanken vertieft, dass sie den Tieren kaum Aufmerksamkeit schenkte. Hatte ihre Nachricht die Rebellen erreicht? Mehr konnte sie für sie nicht tun, und doch war es viel zu wenig. Als sie an die letzte Begegnung mit Aylwin zurückdachte, kamen ihr seine boshaften Bemerkungen wieder in den Sinn. Das Schlimmste dabei war, dass ein großer Teil seiner Vorwürfe gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Sie wollte ihre Ehe mit Wulfrum nicht lösen, und sie wollte erst recht nicht Aylwins Braut werden. Er war ein guter und angesehener Mann, aber sie wusste, sie könnte für ihn niemals das Gleiche empfinden wie für Wulfrum. Aylwins Blick ließ in ihr kein Feuer erwachen, und seine Berührungen fühlten sich auf ihrer Haut nicht erregend an. Sein Kuss konnte ihr Herz nicht entflammen. Niemals würde sie die Gefühle erwidern können, die er ihr entgegenbrachte. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es sein konnte, dass der eine Mann solche Leidenschaft wecken konnte, während sie bei dem anderen so gut wie nichts verspürte.
Von der Koppel schlenderte sie weiter zum Obstgarten, wo sie sich im Schatten eines Baums niederließ. Es war sehr angenehm unter freiem Himmel, und schon bald begann sie sich zu entspannen. Die leichte Brise und der wärmende Sonnenschein taten dabei ein Übriges. So bemerkte sie nicht, dass sich jemand näherte, da der weiche Boden das Geräusch seiner Schritte verschluckte. Erst als ein Schatten auf ihr Gesicht fiel, wurde sie aufmerksam.
„Alywin?“ Einen Moment lang war sie vor Schreck wie gelähmt. „Seid Ihr verrückt?“
„Ich musste Euch wiedersehen.“
„In Gottes Namen, warum denn das?“ Ängstlich sah sie sich um. „Wenn man Euch hier entdeckt …“
„Um Euch zu danken.“
„Wofür?“
„Für die Warnung und die Mitteilung …“
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