HISTORICAL BAND 295
Lidern und hielt sie mit Mühe zurück. Sie war erleichtert, dass er ihr nichts angemerkt hatte, aber zugleich hatte sie ein schlechtes Gewissen dabei, ihn zu belügen – obwohl sie ihm eigentlich nur etwas verschwiegen hatte. Aber das würde keinen Unterschied machen, sollte er von ihren Treffen mit Aylwin erfahren. Dann würde seine Wut keine Grenzen kennen. Was Sweyn anging, konnte sie nur hoffen, dass er seiner Beobachtung keine Bedeutung zumessen würde. Immerhin war Aylwin wie ein Bauer gekleidet gewesen, und aus der Entfernung war das eine überzeugende Tarnung. Ihre Geschichte war also völlig glaubwürdig.
Elgiva seufzte. Sie fühlte sich wie in einem Netz aus Lügen gefangen. Aber was konnte sie sonst tun? Wenn sie den Mund aufmachte, verriet sie Aylwin – wenn sie schwieg, hinterging sie Wulfrum. Vor einer Weile wäre ihr das noch egal gewesen, doch inzwischen war es ihr wichtig, was er von ihr hielt. Er selbst war ihr wichtig geworden. Er sprach nie über seine Gefühle, doch sein Verhalten ihr gegenüber zeugte von Achtung und Wärme. Sie hoffte, dass sie sein Herz genauso besaß, wie sie ihm ihr eigenes geschenkt hatte. Deshalb wollte sie auch nicht, dass er von Sweyns Dreistigkeit erfuhr. Er würde ihn dann gewiss zu einem Kampf herausfordern wollen. Und auch wenn sie wusste, dass ihr Ehemann Sweyn überlegen wäre, konnte das Schicksal so grausam sein und ihn zwar über seinen Rivalen siegen, aber dabei eine tödliche Verletzung erleiden lassen. Oder Sweyn könnte mit einer Hinterlist als Sieger aus dem Kampf hervorgehen. Der Gedanke machte ihr Angst. Also war es besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Schließlich würde Sweyn schon am nächsten Morgen Ravenswood wieder verlassen.
Gemächlich zog Elgiva die Schnüre an ihrem Kleid auf und streifte es ab, dann legte sie es über einen Stuhl. Sie wusch sich Gesicht und Hände, anschließend öffnete sie den Zopf, um ihr Haar zu kämmen. Diese vertrauten Rituale besänftigten sie, und ihre Stimmung begann sich allmählich wieder zu heben. Aus dem Saal drangen die Unterhaltungen und das Gelächter der Männer gedämpft zu ihr nach oben. Wulfrum war auch alleine ein hervorragender Gastgeber. Im Geiste sah sie ihn von seinen Leuten umgeben und war zum ersten Mal dankbar für deren Anwesenheit. Vor allem in Olaf Eisenfausts Nähe war Wulfrum vor jedem Verräter sicher. Unwillkürlich musste Elgiva lächeln. Sie legte den Kamm weg, zog das Unterkleid aus und legte sich dann wieder ins Bett, wo sie die Felldecke über sich zog.
Sie bekam nicht mehr mit, wie Wulfrum das Gemach betrat und sich über sie beugte. Erleichtert stellte er fest, dass ihr Gesicht einen entspannten, sorglosen Eindruck machte und wieder etwas Farbe bekommen hatte. Sein Blick wanderte von ihrer nackten Schulter über ihren Arm bis hinunter zum Handgelenk – und blieb dort hängen. Er stutzte und sah genauer hin. Blaue Male zogen sich um das schlanke Gelenk, und er konnte deutlich die Abdrücke von fünf Fingerspitzen erkennen. Fingerspitzen, die eindeutig zu einer Männerhand gehörten.
Er richtete sich auf und betrachtete seine schlafende Ehefrau. Dabei fühlte er sich versucht, sie auf der Stelle zu wecken und eine Erklärung für diese Male zu verlangen. Aber er hielt sich zurück, da sie den Schlaf brauchte. Es konnte bis zum Morgen warten. Leise zog er sich aus, löschte die Kerze und legte sich zu Elgiva ins Bett. Sie bewegte sich ein wenig, wachte aber nicht auf, während er lange Zeit nicht einschlafen konnte. Unentwegt zerbrach er sich den Kopf darüber, wer ihr diese Male zugefügt haben mochte. Seine Leute würden es nicht wagen, sie anzurühren. Er hatte selbst beobachtet, wie ihr Respekt vor Elgiva immer größer wurde. Außerdem würden sie schon aus Loyalität zu ihm seine Frau in Ruhe lassen. Auch von den angelsächsischen Dienern konnte es keiner sein, weil sie ihre Herrin war. Niemand aus ihren Reihen würde sein Leben so gedankenlos aufs Spiel setzen. Nun, er konnte bis zum Morgen warten, und dann würde er die Wahrheit erfahren.
Elgiva erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen und streckte sich schläfrig, dann strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. Sie spürte Wulfrums Wärme neben sich und lächelte. Dass er sich zu ihr gelegt hatte, war ihr gar nicht aufgefallen, so fest hatte sie geschlafen. Erst als sie sich zu ihm umdrehte, stellte sie fest, dass er auch schon wach war. Beim Anblick seiner finsteren Miene schlug ihr Herz vor Beunruhigung
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