Historical Band 298
hob Jane den Kopf und meinte laut: „Glauben sie, sie sei in Cambridge?“
„Es heißt, sie wäre hier gesehen worden. Irgend so ein Bursche überbrachte die Nachricht.“
„Vielleicht habe ich sie gesehen“, begann Jane mit noch immer heftig klopfendem Herzen. Was, wenn er sie doch erkannte? „Wie war ihr Name?“
Er trank von seinem Bier und schenkte ihr kaum einen Blick. „Jane. Jane de Weston.“
Der Name einer Fremden. Nicht länger ihr eigener. „Blonde Haare, sagtest du?“
Er nickte. „Wäre vielleicht ganz hübsch gewesen, wenn sie ein bisschen was aus sich gemacht hätte. Aber sie lief herum wie ein Gassenjunge. Die Familie hielt sie nie dazu an, etwas zu arbeiten, sag ich euch. Verdorben wie eine verfaulte Frucht. Gut, dass sie die los sind, ist meine Meinung.“
Jane spürte, wie ihre Wangen brannten, und schluckte schwer an dem Kloß in ihrer Kehle. Hatten alle Bediensteten sie so gesehen? „Also, so jemanden traf ich letzten Herbst auf der Straße. Ich glaube, sie war tatsächlich wie ein Mann gekleidet.“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Da haben wir’s! Du hast sie auf Anhieb durchschaut, oder? Armes Mädchen. War vielleicht verdorben, aber so ein Schicksal hat sie nicht verdient. Möglicherweise ist sie schon tot.“
Sie wollte ihre Familie beruhigen, nicht ängstigen. „Das glaube ich nicht. Sie reiste im Schutz einer Pilgergruppe.“
„Genau das sagte der Bursche auch. Aber der Herbst ist keine Zeit für Pilgerfahrten.“
„Vielleicht hatte sie ein dringendes Anliegen? Eine Krankheit? Eine persönliche Buße?“
Der Kundschafter seufzte. „Wenn ich ihrer Familie das erzähle, schicken sie mich gleich wieder los, nur damit ich weiter hinter Gespenstern herjage. Also gut, was noch, Junge? Wohin sind die Pilger gegangen?“
„Zum Schrein von Godric.“ Finchale lag eine gute Strecke nördlich von Cambridge. Zu weit für ihre Familie, um sie dort zu suchen, hoffte Jane.
„Ich danke dir. Es ist nicht viel, aber wenigstens etwas. Gut, dann mache ich mich besser wieder auf den Weg.“
Sie umklammerte die Tischkante. Er durfte nicht gehen. Nicht, bevor sie nach Solay gefragt hatte.
Er war schon auf halbem Weg zur Tür, da hob sie die Stimme, um ihn aufzuhalten. „Der Junge, den ich traf, erwähnte eine schwangere Schwester.“
„Dann könnte sie es tatsächlich gewesen sein.“ Er hielt inne, als wäre er überrascht.
„Was geschah mit der Schwester? Und dem Säugling?“
„Ach, sie hatten eine schwere Zeit, Lady Solay und der kleine William.“ Er schüttelte den Kopf und ging wieder in Richtung Tür. „Aber wie es scheint, geht es ihnen jetzt besser. Jedenfalls gut genug, um bald mit Lord Justin auf Reisen zu gehen.“
Jane wollte ihn aufhalten, wollte wissen, wohin sie reisten und warum. Aber für ihn war sie ein fremder junger Mann, der keinen Grund hatte, sich um die beiden zu sorgen.
„Das muss sie gewesen sein“, rief sie hinter ihm her. „Sie machte sich Sorgen um ihre Schwester. Das kannst du ihrer Familie sagen.“
Ohne zurückzublicken, winkte er nur kurz mit der Hand.
Bitte, dachte Jane, sag es ihnen.
Der Dezember kam, und Duncan musste erst das Eis auf dem Eimer zerschlagen, bevor er sich das kalte Wasser ins Gesicht spritzen konnte.
Weihnachten nahte, und die Herberge leerte sich langsam. Bis zum Frühjahrssemester wurde der Unterricht einen Monat lang unterbrochen. Aber viele schlichen sich schon früher davon, um besseres Wetter zu haben. Eine Reise im Winter war eine unsichere Angelegenheit, und die Schüler freuten sich darauf, zu ihren Familien und ans eigene Herdfeuer zurückzukehren.
Henry und Geoffrey brachen als Letzte auf.
„Und du willst wirklich nicht mit uns kommen?“, fragte Henry.
„Ich will nicht riskieren, das Ratstreffen zu versäumen.“ Das entsprach durchaus der Wahrheit. Er musste am 20. Januar in Westminster sein.
Duncan reiste so selten wie möglich nach Hause. Er konnte es nicht ertragen, den leeren Sessel seines Vaters zu sehen, der ihn anzuklagen schien.
Außerdem dachte er nicht für einen Augenblick daran, Jane hier allein zu lassen.
„Wir versuchen, etwas Neues über deinen Vater herauszubekommen“, versprach Geoffrey. Duncan nickte dankend.
„Und gerat nicht in Schwierigkeiten.“ Henry winkte ihm noch einmal zu, während sie davonritten.
„Wie denn?“, rief Duncan ihnen nach. „Ich spiele doch das Kindermädchen für den Jungen.“
Jane hatte sich eisern geweigert, ihm mehr über ihre Familie
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