Historical Band 303
die Kontrolle über sich verloren? Oder war jemand verletzt worden?
Eines war klar: Er würde nicht darüber sprechen. Keine noch so vorsichtige Frage würde die Mauer seines Stolzes einreißen.
Es schmerzte sie, ihn so zu sehen und zu wissen, dass sie nichts für ihn tun konnte. „Wenn es irgendetwas gibt, womit ich dir helfen kann, dann sage es mir, und ich versuche mein Bestes.“
Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. Unwillkürlich wich sie vor der Leere in seinen braunen Augen zurück. „Mir kann man nicht helfen, Nairna. Lass es sein.“
Seine Worte weckten einen stechenden Schmerz in ihr. Was sollte sie nur tun? In einem Augenblick hielt ihr Mann sie fest, als wollte er sie nie wieder gehen lassen, und im nächsten stieß er sie von sich und weigerte sich, mit ihr zu reden.
Sie war verwirrt. Es war, als würde ihr ein kalter Windstoß entgegenschlagen. Bram beobachtete sie. Er sagte zwar nichts und verriet auch nicht, was er dachte, aber er ließ sie nicht aus den Augen.
Ein Mann mittleren Alters, von kleiner Statur und in einer seidenen, dunkelgrünen Tunika mit passenden Hosen und Mantel, unterbrach sie in ihren sorgenvollen Gedanken. Die schwere Goldkette um seinen Hals verriet, dass er im Range eines Barons stand.
„Ich hörte, wir haben Gäste“, sagte der Mann und zeigte ein joviales Lächeln. „Ich bin Kameron MacKinnon, Baron of Locharr.“
Sein helles Haar war bereits etwas schütter, und um die Mitte herum war er nicht der Schlankste, aber er strahlte Wärme und Freundlichkeit aus. Nairna machte einen Knicks und stellte sich und Bram vor.
Direkt hinter Lord Locharr standen eine ältere Frau und ein junges Mädchen. Bram beugte sich zu Nairna, dass sein warmer Atem ihr Ohr streifte und flüsterte: „Das ist Ross’ Gattin Vanora und seine älteste Tochter Nessa.“
Sein Atem an ihrem Ohr jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Als er sich wieder aufrichtete, konnte sie das Gefühl einer Enttäuschung nicht unterdrücken.
„Vergebt Lady Grizel, was sie vorhin gesagt hat“, meinte Lord Locharr gelassen. „Sie hat schwere Zeiten erlebt. Der Kummer hat sie hart werden lassen.“
Der Mann versuchte, die angespannte Stimmung zu beruhigen. Nairna überwand sich und nickte. „Ich hoffe, es war richtig von uns, Euch zu besuchen. Die Männer der MacKinlochs vermissen ihre Frauen und Kinder. Ihretwegen bin ich da.“
Lord Locharr warf einen Blick auf die beiden Frauen an seiner Seite, als schätzte er ihre Antwort ab. Vanora erstarrte und griff nach der Hand ihrer Tochter. Sie schien sich unbehaglich zu fühlen. Wahrscheinlich hatte sie sich noch nicht entschieden, was sie tun würde.
„Kommt herein“, meinte Lord Locharr und lächelte Nairna freundlich zu. „Ihr solltet über Nacht bleiben. Dann können wir alles besprechen.“
Obwohl die Einladung nicht unerwartet kam, bemerkte Nairna, wie ein Schatten über Brams Gesicht huschte. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, als wollte er den Baron wissen lassen, dass sie zu ihm gehörte.
Die Berührung seiner Finger hatte etwas Entspannendes, obwohl sie besitzergreifend war. Am liebsten hätte sie den Kopf an Brams Schulter gelegt und die Augen geschlossen.
„Ich will dafür sorgen, dass Ihr eine eigene Kammer bekommt“, sagte der Baron. Mit einem Nicken gab er den Befehl an Vanora weiter, die sofort mit ihrer Tochter verschwand. „Wenn Ihr Lust habt, setzt Euch zu mir und trinkt einen Becher Wein oder Met mit mir. Dann können wir uns unterhalten, während man eure Kammer vorbereitet.“
Mit einer Handbewegung forderte er sie auf, ihm in den Saal zu folgen und ihm auf dem dais , einem Podest an einem Ende des Saales, an einer langen Holztafel Gesellschaft zu leisten. Nairna folgte aus Höflichkeit seiner Aufforderung. Aber ihr entging Brams Zögern nicht. „Ihr habt ein schönes Zuhause“, meinte sie zu dem Baron. „Sicher sind die Frauen und Kinder dankbar für Eure Gastfreundschaft.“
Lord Locharr schenkte jedem von ihnen einen Becher Met ein. „Das Vergnügen liegt auf meiner Seite. Ich habe gerne Kinder um mich.“ Er füllte seinen eigenen Becher und fügte hinzu: „Aber in Wirklichkeit wollt Ihr doch wissen, wann sie zurückkehren.“
Nairna nickte. „Es ist nicht gut, wenn Familien getrennt sind.“
„Es ist aber auch nicht gut, wenn Frauen und Kinder alle paar Wochen von den Engländern angegriffen werden.“ Sein Blick ging zu Bram. „Sie suchten bei mir Zuflucht, ein Ende der Gewalt. Ich war
Weitere Kostenlose Bücher