Historical Collection Band 01
Aber dann verstand sie, was er meinte: Sie hielt noch immer die Bilder umklammert. Rasch zog sie die Hände zurück. Die Gemälde waren in Everetts Besitz übergegangen. Ihr allerdings war, als habe sie etwas verloren, was untrennbar zu ihr gehörte.
Er klemmte sich die in Ölpapier gewickelten Pakete unter den Arm und reichte Loveday ein paar Goldmünzen.
„Wofür?“
„Ein Vorschuss.“ Er schaute sich im Raum um. „Das Geld ist doch sicher hier?“
„Es gibt einen sicheren Platz.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. Everett brauchte nicht zu erfahren, dass sie Geld stets in ihrem Mieder aufbewahrte.
Er hob die Brauen und richtete den Blick kurz auf ihre Brüste, woraufhin sie errötete. Natürlich hatte er sofort gewusst, was sie mit dem sicheren Platz meinte. Sie straffte die Schultern und schaute ihm ins Gesicht. Er sollte nur nicht wagen, einen Kommentar dazu abzugeben!
Noch immer hielt er ihr die Münzen hin, schweigend.
Sie nahm sie. Fünf Sovereigns, das war mehr, als sie seit einer halben Ewigkeit in den Händen gehalten hatte. Sie hatte vergessen, wie schwer eine solche Münze war. Sie würde sich etwas zu essen kaufen können. Ihr Magen schmerzte vor Hunger, und ihr Puls raste. Aber es gelang ihr, sich äußerlich nichts anmerken zu lassen.
Everett beobachtete sie aufmerksam. Ihr Verhalten schien ihn ein wenig zu verwirren. „Wann soll ich morgen kommen?“, fragte er.
„Um fünf.“ Ihr würde dann genug Zeit bleiben, um nach der Heimkehr alles fortzuräumen, was er nicht sehen sollte.
„Gut. Wird Lionel dann hier sein?“
„Nein. Er wird nichts dagegen haben, dass Sie kommen. Aber da sein wird er nicht.“ Sie konnte den Blick nicht von seinen dunkelblauen Augen abwenden, und es kostete sie einige Mühe, eine gleichgültige Miene zur Schau zu stellen.
Everett wandte sich zur Tür, wo er sich allerdings noch einmal umdrehte und erneut ihren Blick suchte. „Loveday, ich habe einmal an Lionel geschrieben, um mich zu vergewissern, dass Sie …, dass wir …, dass es keine Folgen …“ Unzufrieden mit sich selbst, schüttelte er den Kopf. „Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit. Haben Sie ein Kind von mir empfangen?“
Ihr Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Ihre Stimme aber klang ruhig. „Nein, Everett. Ich schwöre, dass es kein Kind gibt.“
Sie sah, wie er sich entspannte.
„Gut“, sagte er, verbeugte sich leicht und verließ die Wohnung.
Loveday schloss die Augen und versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten. Schließlich war die Tür zwischen Everett und ihr nicht zum ersten Mal geschlossen worden.
Gott, ich danke dir dafür, dachte Everett.
Loveday hätte es wirklich nicht verdient, auf diese Art für seine Dummheit bestraft zu werden. Er hatte Lionel damals gesagt, wenn Loveday ein Kind erwartete, so würde er sich nicht vor der Verantwortung drücken. Später hatte Lionel ihm einen Brief geschickt, in dem er versicherte, seine Schwester sei nicht schwanger und es bestünde daher kein Grund, irgendein Opfer zu bringen.
Warum hätte er Lionel nicht glauben sollen? Er hatte sich also mit der Auskunft zufriedengegeben. Doch nun bei dem Wiedersehen mit Loveday hatte er das dringende Bedürfnis verspürt, auch von ihr zu hören, dass alles in Ordnung sei. Sein Gewissen verlangte das von ihm.
Besser wäre es natürlich, wenn ich sie nie verführt hätte …
Everett stieß einen Seufzer aus und winkte eine Droschke herbei. In erster Linie ging es ihm darum, die Gemälde vor dem Regen zu schützen. Zudem kam ihm die Gelegenheit gerade recht, während der Fahrt in Ruhe nachdenken zu können. Es gab so viel, das ihm leid tat. Nun, wenigstens würde er Loveday bald wiedersehen. Aber warum, um alles in der Welt, bedeutete ihm das so viel? Wenn er nur einen Funken Ehre in sich hatte, durfte er sie nie wieder berühren.
Verflucht, er brauchte nur einmal in ihre goldbraunen Augen zu sehen, und schon erwachte wieder das Verlangen in ihm. Er wollte sie noch immer genauso sehr wie vor sechs Jahren. Es war ein Zufall gewesen, dass er sie damals allein angetroffen hatte. Ihr getigertes Kätzchen war von einer Kutsche überrollt worden, was ihr fast das Herz gebrochen hatte. Er hatte sie trösten wollen. Nur einen Moment lang hatte er sie in die Arme schließen wollen. Doch er hatte sein wachsendes Verlangen nach Loveday unterschätzt. Seine Standhaftigkeit und seine moralische Stärke wiederum hatte er überschätzt.
Er bemühte sich, an etwas anderes zu denken.
Es
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