Historical Collection Band 01
er kommt.“
„Bestimmt haben Sie für den heutigen Abend eine Einladung angenommen“, meinte Loveday mit einem Blick auf seine elegante Kleidung. „Irgendwo erwartet man Sie.“
Er zuckte die Schultern. „Ich wollte an einer Soirée teilnehmen. Aber es ist egal, wann ich dort erscheine.“
Schon stieg Panik in ihr auf. O Gott, es musste einfach einen Ausweg geben! Was hatte sie nur falsch gemacht? Womit hatte sie Everett verärgert? Doch nein, er zürnte nicht ihr, sondern ihrem Bruder, weil er glaubte, dieser habe sie allein gelassen. „Also gut“, sagte sie. „Ich will Lionel eine Nachricht hinterlassen, damit er sich keine Sorgen macht.“
Everett schluckte die Worte hinunter, die ihm auf der Zunge lagen. Wenn Lionel sich Sorgen um Loveday gemacht hätte, wäre er längst nach Hause gekommen. Zudem hätte er niemals eine Wohnung in dieser Gegend gemietet. Er hätte … Er hätte sich eben mehr anstrengen müssen mit dem Verkauf seiner Bilder, damit mehr Geld zur Verfügung stand. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Lionel sich nicht um den Auftrag, die Wandbilder zu malen, beworben hätte!
Er beobachtete, wie Loveday ein Stück Papier aus einer Schublade nahm und ein paar Worte schrieb. Es war gut, dass sie noch nicht gegessen hatte. Sonst hätte er mit ihr in diesem Zimmer auf Lionel warten müssen, statt mit ihr auszugehen. Er wäre mit ihr allein gewesen, und das war gefährlich. Er brauchte sich nur auf ihre anmutigen Bewegungen zu konzentrieren, um erneut von dem Verlangen, sie zu besitzen, übermannt zu werden. Sechs lange Jahre hatten nicht genügt, um ihn von seiner Leidenschaft für Loveday Trehearne zu heilen!
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Einen irgendwie ängstlichen, aber keineswegs ablehnenden Blick. Da er sie ihrer Unschuld beraubt hatte, hätte sie ihn eigentlich hassen müssen. Stattdessen hatte er das Gefühl, dass auch sie sich noch immer zu ihm hingezogen fühlte.
„So!“ Sie faltete das Blatt mit der Nachricht zusammen und lehnte es gegen den Kerzenständer. „Hier kann man es nicht übersehen.“
Sie schien sich entspannt zu haben. Trotzdem hegte Everett noch immer den Verdacht, dass zwischen ihr und ihrem Bruder nicht alles in Ordnung war.
„Können wir jetzt gehen?“, fragte er.
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Habe ich noch Zeit, mich umzuziehen?“
„Natürlich.“ Die Zeit, die sie zum Umkleiden brauchte, würde vermutlich ausreichen, um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Als Loveday hinter einem Vorgang verschwand, der wohl den Zugang zum anderen Zimmer verdeckte, musste er sich zwingen, ihr nicht zu folgen.
Vergeblich versuchte er, seine Ohren vor den Geräuschen zu verschließen, die aus dem Nebenraum drangen. Das Rascheln von Stoff, das verriet, dass eine Frau sich entkleidete. Dann das Plätschern von Wasser, als sie sich wusch. Seine Fantasie gaukelte ihm verführerische Bilder vor: Loveday, die nur ein Unterhemd trug; Loveday, die nackt war und einen Waschlappen nass machte, um sich zu waschen; Loveday, deren Brustwarzen sich aufrichteten, als sie mit dem kalten Wasser in Berührung kamen.
Bei Jupiter, er hatte nicht vergessen, wie wunderbar weiblich ihr Körper war, wie wunderbar weich ihre Haut sich anfühlte, wie sehr ihr Duft nach Äpfeln und Zimt ihn stets erregt hatte …
Die Erinnerung an ihr intimes Zusammensein überfiel ihn mit unerwarteter Macht. Sechs Jahre war es nun her, doch er hatte keine noch so kleine Einzelheit vergessen. Loveday hatte schüchtern den Kopf gesenkt, als sie in Korsage und Hemdchen vor ihm stand. Ihre helle Haut hatte einen rosigen Schimmer angenommen, als er begann, sie zu streicheln. Dann hatte sie nackt in seinen Armen gelegen. Voller Hingabe hatte sie sich an ihn geschmiegt. Sie hatte sich ihm geschenkt und ihm gehört, ihm allein.
Es musste wahnsinnig gewesen sein, dieses Geschenk anzunehmen. Noch immer bereute er es zutiefst, dass er ihr die Unschuld genommen hatte. Damals hatte er sich damit zu beruhigen versucht, dass er sich schwor, sogleich aufzuhören, wenn sie ihn darum bat. Sie hatte ihn nicht darum gebeten. Aber natürlich hätte er sie niemals in eine solche Situation bringen dürfen. Er hatte sich selbstsüchtig und verantwortungslos benommen. Ihm war, als höre er noch einmal ihren halb erstickten Schrei, als er in sie eindrang.
Ein Bild fiel polternd um. Er musste es wohl mit dem Fuß umgestoßen haben. Dabei hatte er nicht einmal bemerkt, dass er in Richtung des Vorhangs gegangen war.
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