Historical Collection Band 01
soll dessen Meister mit der Peitsche traktiert haben.“ „Ist im Gefängnis kein Unbekannter. War mehr als einmal über Nacht mit gewöhnlichen Schurken zusammen eingesperrt.“ „Angeblich hat er einen entlaufenen Sklaven aus der Gosse aufgesammelt und ihm sogar eine Stelle verschafft.“
Mit derselben Kraft, mit der ein Magnet Eisen anzieht, zog Captain Dalgleish die Aufmerksamkeit des gesamten Raumes auf sich. Und wie die übrigen Gäste starrte auch Isabella ihn an. Als sie das erste Mal Geschichten über ihn gehört hatte, war er neu in der Stadt und ebenso im Gespräch wegen seiner gewagten Attacken auf dem Schlachtfeld wie wegen seiner öffentlichen Verurteilung des Kriegs gegen Amerika, in dem er gekämpft hatte. Immer noch war er nicht weniger berühmt-berüchtigt, nun jedoch wegen seiner Aufsehen erregenden Eskapaden. Ewan Dalgleish hielt sich nicht an die Spielregeln der Gesellschaft. In jeder Beziehung ein Rebell, dachte sie neidvoll.
Warum in aller Welt sollte er ihre Wette halten wollen? Aber wenn sie sich nicht darauf einließ … nein, sie wollte nicht daran denken, welche Folgen ihr Scheitern haben würde.
Unauffällig musterte sie ihn, während er eine Rolle Banknoten auf den Tisch legte. Er war groß und trug einen modisch eng geschnittenen Samtrock, der seine breiten Schultern betonte. Das strenge Schwarz wurde nur durch eine taubengraue Weste gemildert, und das Hemd aus feinem weißen Batist darunter zeigte nur einen Hauch von Spitzenverzierung. Sein dichtes rotbraunes Haar glänzte im Kerzenlicht wie eine frisch geprägte Münze. Er hatte ein Gesicht, das man nicht so rasch vergaß. Hohe Wangenknochen, auf der linken Schläfe eine kurze Narbe, zweifellos von einem Säbelhieb. Ein kräftiges, von Entschlossenheit zeugendes Kinn. Der ganze Mann wirkte ungezähmt, und sein hervorragend geschneiderter Abendanzug lenkte geschickt die Aufmerksamkeit auf seine muskulöse Gestalt. Wie ein Berglöwe, dachte Isabella. Sie erbebte leise. Machtvolle Stärke, nur schwach vom Anstrich der Zivilisation übertüncht. Ein wilder Hochlandkrieger im eleganten Gewand des Gentleman.
Über ihre fantasievollen Gedanken musste sie selbst lächeln. Und dann errötete sie, als sie sah, dass ihr Lächeln sich in der Miene des Mannes spiegelte. Hochmütig hielt sie seinen Blick für einen Moment, Bernsteingold gegen Kobaltblau. Ein beinahe fühlbares Knistern des Erkennens zwischen ihnen. Sie schlug die Augen nieder.
„Madam?“
Mrs Bradleys Stimme rief Isabella zur Sache. Sie schob ihre sämtlichen Spielmarken über den Tisch. Die Zuschauer reckten ihre Hälse noch mehr.
Die Bankhalterin deckte eine Sechs auf. Isabellas Karte gewann.
„Die Dame gewinnt“, sagte Ewan leise mit seinem ein wenig rauen schottischen Tonfall und schob alle Spielmarken zu ihr hinüber. Gerade hatte er eine stattliche Summe verloren, schien aber deshalb nicht unzufrieden. Fragend zog er eine Augenbraue hoch.
Isabella atmete tief ein, dann schob sie ihren gesamten Gewinn wieder zur Mitte des Spieltischs. Ein hörbares Aufkeuchen ging durch die Zuschauer. Es kostete sie ihren ganzen Mut, diese Summe, ein wahres Vermögen, zu setzen, aber was sie gerade gewonnen hatte, würde nicht genügen. Ein Leben hing davon ab, dass das Glück ihr noch einmal hold war. Angespannt, ganz auf das Spiel konzentriert, presste sie ihre Hände zusammen. Nur ein glücklicher Wurf noch. Nur dieser eine.
Ewan ließ sie nicht aus den Augen. Ihr Gesicht war maskenhaft in seiner Angespanntheit, ihr Blick fest auf die Hände der Bankhalterin geheftet, die nach der nächsten Karte griffen. Worum es der jungen Dame auch ging, sie spielte nicht um des Rausches willen. Irgendwie wünschte ein Teil seiner selbst, dass sie gewinnen möge, obwohl es ihn Tausende kosten würde.
Als die Karten aufgedeckt wurden, erbleichte Isabella. Ein Zischen wie vom Überdruck eines Kessels stieg von den Zuschauern rund um den Tisch auf.
Isabella hatte alles gesetzt, besaß nicht einmal mehr eine einzige Marke, um weiterspielen zu können. Wie blind erhob sie sich und stieß den zierlichen vergoldeten Stuhl zurück, der polternd umfiel. Die Spitzenrüsche ihres Ärmels hatte sich in ihrem Fächer verfangen. Ihre Handschuhe … wo waren ihre Handschuhe?
Unvermittelt stand Dalgleish vor ihr, reichte ihr die Handschuhe und ihren Schal und nahm sie mit festem Griff beim Arm. „Kommen Sie mit.“
„Nein, nein, ich …“
Aber es war zwecklos. Mit starker Hand führte er sie fort,
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