HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
wischte die Hände an der Schürze ab. Mitleid sprach aus ihren hellbraunen Augen. „Sie müssen mit dieser Möglichkeit rechnen, meine liebe Mrs. MacKenna, und auf das Schlimmste vorbereitet sein. Sie dürfen den Lebensmut nicht verlieren, sich selbst, ihrem Gatten und den anderen Kindern zuliebe, die sie eines Tages haben werden.“
Mary presste die Lippen zusammen und verdrängte die Aufwallung von Gefühlen, die so belastend waren, dass sie sich nicht mit ihnen auseinandersetzen konnte. „Nein!“, flüsterte sie. „Das kann ich nicht! Sie verstehen mich nicht, Mrs. Robertson. Wie sollten Sie mich auch begreifen können!“
Ein Schatten huschte über Claras unscheinbares Gesicht. Sie streckte die Hand aus und legte sie um Mrs. MacKennas Unterarm. „Begleiten Sie mich auf einem Spaziergang, solange das Stew kocht“, sagte sie leise. „Es gibt etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.“
Cameron war schon früher in Siedlerhäusern gewesen. Dennoch belustigte ihn der Gegensatz zwischen dem Äußeren und Inneren der Gebäude immer wieder aufs Neue. Das der Bauweise der Eingeborenen folgende Anwesen der Robertsons bestand, wie die meisten dieser Häuser, aus einem strohverkleideten Holzgerüst. Der Abendwind drang durch die Wände, und unter dem Dach hatten sich Eidechsen und Ringgeckos eingenistet. Die Räume waren jedoch, ganz englischem Geschmack entsprechend, mit um die halbe Welt transportierten Gegenständen eingerichtet. Im Esszimmer stand ein polierter Mahagonitisch, auf dem eine mit irischer Spitze geschmückte Decke lag. Hübsches Porzellan und geschliffenes Kristall schimmerten im Kerzenlicht.
Die um den Tisch sitzenden Robertsons hatten sich ihre besten, wenngleich abgenutzten Sachen angezogen und warteten darauf, dass der Hausherr das Gebet sprach. Er hatte ein schmales, ehrlich wirkendes Gesicht, strahlte verhaltene Energie aus und war von einer ohne Umschweife zur Sache kommenden Direktheit, die Cameron zu schätzen wusste. Malcom Robertson hatte sich als Siedler in Machakos niedergelassen, war nach zwei Jahren jedoch des Kampfes gegen Dürren, Heuschreckenplagen und Krankheiten müde geworden.
Seine Gattin war keine Schönheit, aber ihr reizloses Gesicht drückte Lebensfreude und Wohlbefinden aus. Sie war die Art Frau, die sich überall zurechtfand, ganz gleich, wohin sie auch verschlagen wurde. Mr. Robertson konnte sich glücklich schätzen, sie zu haben. Von seinen drei Kindern war das älteste ein schüchternes zehnjähriges Mädchen, das ihm ähnelte und eines Tages recht hübsch sein würde. Der Zweitälteste war der sommersprossige, lebhafte achtjährige Junge, der am Nachmittag die Ankunft der Fremden im Ort verbreitet hatte. Das jüngste Kind war ein dreijähriger Knabe, der die braunen Augen der Mutter hatte. Zwischen ihm und seinem Bruder bestand ein beträchtlicher Altersunterschied, doch Cameron ahnte den Grund, weil er die Lebensumstände in Afrika sehr gut kannte. Es war ein raues Land, in dem gesundheitlich Schwache keine Überlebenschancen hatten. Bei diesem Gedanken zwang er sich, nicht an die Tochter zu denken.
Gesenkten Kopfes saß die Gattin neben ihm, während Mr. Robertson das Tischgebet sprach. Im Schein der Kerzen schimmerte ihre Haut wie Perlmutt. Mrs. Robertson hatte ihr ein Kleid mit hohem Spitzenkragen geliehen, das ihr zwar ein wenig zu weit war, dessen lavendelfarbener Ton jedoch ausgezeichnet zu ihren Augen passte. Verstohlen beobachtete Cameron sie und erkannte sinkenden Herzens, dass sie eine der schönsten Frauen war, die er je gesehen hatte. Und fatalerweise war sie seine Gemahlin. Er merkte erst, dass Mr. Robertson zu beten aufgehört hatte, als plötzlich eine lebhafte Unterhaltung einsetzte. Dann widmete auch er sich dem frischen Brot und dem köstlichen Stew. Er wusste, dass inzwischen jedem in Machakos das Schicksal seiner Tochter bekannt war, die Gastgeber dieses Thema indes beim Essen nicht zur Sprache bringen würden.
Mary redete wenig und schien in Gedanken versunken. Es beruhigte Cameron, dass sie und Mrs. Robertson sich angefreundet hatten. Die Erkenntnis, sie in guten Händen zu wissen, erleichterte es ihm, sie am nächsten Morgen zurückzulassen. Er hatte stets vorgehabt, sich heimlich zu entfernen, doch nach dem im Licht der untergehenden Sonne mit Mr. Robertson vor dem Essen auf einer Bank vor dem Haus geführten Gespräch war er mehr denn je dazu entschlossen. Er hatte die ihm vom Emir übergebene Karte entfaltet und Mr. Robertson gezeigt, wo
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