HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
Melodie entfernt vertraut vor – wurde vom Wind die Straße heraufgetragen und rief bei Donovan Erinnerungen wach … Lydia, die hinter ihrem Spitzenfächer lachte … Sarah, die Varinas neugeborenen Sohn ins Lampenlicht hielt … Lydia, die schelmisch über ein Kristallglas hinweg flirtete … Sarah, verstört, fiebernd und geschoren, die sich in der dunklen Nacht wie ein verängstigtes Kind an ihn klammerte …
Lydia, Sarah – wer war sie wirklich? Donovans Herzschlag beschleunigte sich. Er könnte zurückgehen. Die Lichter brannten noch, und Faye würde ihn einlassen. Diesmal könnte er ehrlich sein mit ihr und ihr seine tiefsten Gefühle gestehen. Vielleicht verstand sie ihn. Sie könnte mit ihm in Kansas leben, sie könnten gemeinsam neu anfangen …
Er verlor das Maß. Es gab keine Hoffnung für sie beide. Die Vergangenheit war zu nahe, zu zerstörerisch. Sarah wollte ihn nicht. Und selbst wenn, es musste doch ein böses Ende nehmen. Wenn die Leidenschaft verflog, blieb nichts außer Zorn und Enttäuschung.
Er schluckte, drehte sich um und ging den Pfad schnell hinauf. Die kleinen Blätter der Espenzweige strichen ihm über das Gesicht, als er an ihnen vorbeikam. Weil er sich davor scheute, zur Hütte zurückzukehren, machte er in einiger Entfernung eine Pause, um sich zu beruhigen. Die Lichter und das Pianospiel hatte er lange hinter sich gelassen. Trotzdem spürte er Sarah fast. Er sah sie in dem kleinen Raum vor sich mit all dem, was hinter den Wänden rings um sie herum vor sich ging. Nein, das war kein Aufenthaltsort für eine Frau wie sie.
Hoffentlich war sie bald stark genug, von dort zu flüchten, sodass sie beide endlich ihren Frieden wiederfanden. Bestimmt erreichte sie irgendwo das, wonach sie suchte.
Von den Berggipfeln wehte es frühlingshaft, aber kalt. Der Wind wehte ihm das Haar aus der Stirn und kühlte seine feuchten Augen, während er den weiteren Heimweg hinauszögerte. Auf Wiedersehen, Sarah!, dachte er. Viel Glück und Lebewohl!
Sarah saß auf der Bettkante, betrachtete das Fenster und wünschte sich Zauberaugen, um damit durch den Samtvorhang das Sonnenlicht draußen sehen zu können. Das weinrote Halbdunkel, das ihre Tage einhüllte, war schon schwer zu ertragen gewesen, solange sie zu schwach gewesen war für irgendetwas außer essen und trinken. Seit ihre Kräfte zurückkehrten, kam ihr der kleine Raum wie ein Kerker vor, in dem sie als Gefangene saß.
Im Nebenraum schnarchte Greta bei ihrem Nachmittagsschlaf. Es war durch die papierdünnen Wände nicht zu überhören. Die drei Frauen hatten ihr das Leben gerettet, und sie waren mehr als freundlich zu ihr gewesen. Es war nicht ihre Schuld, dass sie wie ein eingesperrtes Tier herumlief. Sie konnten auch nichts dafür, wenn ihr Leben nur noch daraus bestand, dass sie die Tage, Stunden und Minuten zählte, bis sie frei war.
Als wären Isolation und Dunkelheit nicht schlimm genug. Was sie an den Rand des Wahnsinns brachte, war, dass sich bei ihr die Erinnerungen ungehindert einstellen konnten. Wenn sie nicht ständig aufpasste, drängte sich ihr das Bild ihres Vaters auf, die schwarzen Brauen im finsteren Gesicht hochgezogen. Oder ihre Mutter – ein bleicher Schatten, eine Frau ohne eigene Meinung. Oder Reginald Buckley, den Hut verwegen ins Gesicht gezogen, dessen kaffeebraune Augen wegen irgendeines geheimen, gemeinen Spaßes glitzerten.
Manchmal suchte sie Vergangenes aus der Zeit in Richmond heim. Dann sah sie die stoischen schwarzen Gesichter ihrer Diener, die ihre Verbündeten gewesen waren. Sie dachte an Virgil und die anderen hoffnungsfrohen jungen Männer, die abmarschiert waren, um zu sterben. Am meisten aber drängte sich ihr Donovan auf. Das war am schmerzlichsten.
Während sie ihre Schärpe festzog, stand Sarah auf, um auf dem verschmutzten Teppich auf und ab zu laufen. Gestern hatte sie leise für sich sämtliche Texte von Ophelia aus „Hamlet“ aufgesagt. Heute war ihr mehr nach Lady Macbeth zumute – oder vielleicht Medea.
Es wurde Zeit, dass sie ging. Zwar war sie noch weit davon entfernt, ganz auf dem Posten zu sein, aber es wäre zum Besten aller, wenn sie von hier verschwand. Wenn Faye mit der Suppe kam, wollte sie sie noch mal darauf ansprechen.
Die vergoldete Uhr auf der Kommode nahm ihre Aufmerksamkeit gefangen. Fünfundzwanzig Minuten vor drei zeigten die Zeiger an. Noch fünfundzwanzig Minuten, dann kam die für sie schlimmste Zeit des Tages, wenn die Kinder ihren Unterricht beendet hatten und
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