HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
Beispiel folgen. Obwohl Wooton erwähnt hatte, dass sich viele seiner früheren Kumpel nicht mehr im Viertel aufhielten, so befürchtete er doch, seine Gesichtszüge könnten jemanden vielleicht an den jungen Digger O’Rourke erinnern. Wer wusste schon, ob Trusty nicht noch verschiedene Schulden zu begleichen hatte, die man ihm aufbürden wollte?
Er würde noch häufig in die Situation kommen, sich verkleiden zu müssen, ehe Lillys Fall gelöst war. Doch zog er es vor, die Männer, die er sprechen wollte, selbst aufzusuchen – und nicht von ihnen entdeckt zu werden. Für den Augenblick würde Digger O’Rourke so tot bleiben, wie das sein alter Dad war. Deegan wollte seine frühere Person zwar eines Tages wiederauferstehen lassen, doch jetzt war noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Wenn es so weit war, hoffte er, kein Bedauern mehr zu empfinden.
Karl Severn schien sich augenblicklich nicht auf den Straßen herumzutreiben, was Deegan ganz recht war. Als er gerade den Kopf unter das schwarze Tuch gesteckt hatte und durch die Kamera blickte, entdeckte er plötzlich einen schlaksigen Mann. Deegan erstarrte kurz, dann erkannte er ihn als einen seiner zahlreichen Bekannten wieder. Es war Ezekiel Farlong.
Farlong war ein erfolgreicher Bankier und verfügte über gute Verbindungen zu den sogenannten Eisenbahnbaronen. Deshalb hatte Deegan ihn gelegentlich bei den Abbots oder deren Freunden getroffen. Er schien eigentlich nicht der richtige Mann für ein Viertel wie dieses zu sein. Um hier sein Vergnügen zu finden, wirkte er viel zu seriös und aufgeblasen. Er hatte eine Frau und mehrere Töchter, die stets lange Gesichter zogen. Seine Familienmitglieder folgten ihm auf Schritt und Tritt und liefen dabei wie eine kleine Entenschar hinter ihm her.
Doch heute waren sie nirgends zu sehen. Farlong stieg gerade aus einer Mietdroschke aus und eilte sogleich unter die Markise eines Geschäfts, als ob er nicht bemerkt werden wollte. Eine Weile beobachtete er die Vorübergehenden und ging dann weiter, wobei er sich den Hut tief ins Gesicht zog. Seine Schultern ließ er nach vorn fallen, als ob ihm kalt wäre. Farlong ging rasch und sicher; er schien genau zu wissen, wohin er wollte.
Hallo, mein Guter, grüßte Deegan ihn in Gedanken. Was treibt dich denn hierher? Wenn er nicht durch Lillys Sachen daran gehindert worden wäre, hätte er sich sofort an die Fersen des Bankiers geheftet. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Kamera so aufzustellen, dass er durch die Linse Farlongs Wegfolgen konnte. Später wollte er dann zurückkommen und sehen, ob er mehr über den geheimnisvollen Besuch des Mannes in Barbary Coast in Erfahrung bringen konnte. Vielleicht lief alles doch nur auf einen harmlosen Besuch in einem der zahlreichen Bordelle hinaus. Vielleicht hatte es jedoch auch etwas mit dem Mord an Belle Tauber und deshalb mit Lilly zu tun.
Lilly. Allein der Gedanke an sie zauberte ein Lächeln auf Deegans Lippen. In weniger als vierundzwanzig Stunden hatte er sein angenehm langweiliges Leben verlassen und sich in selbstmörderisches Heldentum gestürzt. Doch eigentlich passte die Rolle des Helden überhaupt nicht zu ihm. Er schwindelte, um zu überleben, was nicht gerade heldenhaft war. Niemand würde ihn, Deegan Galloway oder Digger O’Rourke, als einen Helden bezeichnen. Seine eigene Haut zu retten, das war ihm stets das Wichtigste gewesen, und das würde auch in Zukunft so bleiben.
Dennoch war er schon wieder dabei, sein Schicksal herauszufordern und sein Glück aufs Spiel zu setzen – und das nur, um Lilly lächeln zu sehen.
Inzwischen hatte er genug Zeit damit totgeschlagen, so zu tun, als ob er seinem Beruf als Fotograf nachginge. Dabei hatte er nur einen einzigen Mann entdeckt, der etwas zu verbergen schien. Er zog eine billige Taschenuhr heraus – diejenige, die Winona und Garrett Blackhawk ihm geschenkt hatten, lag in seinem Hotel – und sah demonstrativ nach, wie spät es war. Dann gab er vor, es plötzlich sehr eilig zu haben, lud sich die Kamera auf die Schulter und lief in Richtung Market Street, um endlich die gefährlichen Gassen und Straßen von Barbary Coast hinter sich zu lassen.
Er musste Lilly sehen.
Und das nicht nur, weil er ihr die Kamera zurückbringen wollte.
Scharfe Augen beobachteten den Mann von der Ostküste, wie er in der Menge verschwand. Dieser Bursche hat viele Gesichter, dachte Magnus Finley, Detektiv der „Pinkerton Agency“. Er hockte am Eingang zu einer Gasse, hatte
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