HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
Sofa lag. „Wie Sie alle wissen“, sagte sie, „war ich vor meiner Ehe mit Mr. Garvey Haushälterin bei Mr. Alphonse Cronin und seiner mutterlosen Tochter Leonore. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass Mr. Cronin mit den Silberminen in Nevada ein Vermögen gemacht hat. Er verlor seine Frau, als die Tochter noch ein kleines Mädchen war. Was für ein entzückendes Kind Leonore gewesen ist!“
Lilly sah ein weiteres Mal unruhig zur Kaminuhr.
„Als ich heiratete, verließ ich natürlich Mr. Cronins Haus. Doch ich war stets neugierig, was wohl aus Leonore werden würde, sobald sie eine junge Frau wäre.“
„Selbstverständlich“, warf Mrs. Renfrew ein.
Lilly wünschte, die Nachbarin würde ihre Geschichte etwas weniger weitschweifig erzählen. Plötzlich plagte sie jedoch ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Ungeduld. Schließlich hatte sie Mrs. Garvey gebeten, ihr am Vormittag auszuhelfen.
„Mr. Cronin behielt seine Tochter zu Hause, anstatt sie in ein entfernt gelegenes Mädchenpensionat zu schicken. Vielleicht ist Leonore deshalb so schüchtern und still geworden“, fuhr Mrs. Garvey fort. „Das sind natürlich keine Eigenschaften, die viele Verehrer anlocken. Junge Männer verlieren ihre Herzen eher an frivolere Dinger, nicht wahr?“
Lilly hatte keine Ahnung, was junge Männer taten. Ihr hatte sich noch nie die Gelegenheit geboten, Männer, die nicht zu ihrer Familie gehörten, längere Zeit zu beobachten. Aber sie konnte sich Leonore Cronins Schicksal gut vorstellen. Wenn sie sich in einer ähnlichen gesellschaftlichen Situation befunden hätte, wären Männer wie Deegan oder Pierce Abbot bestimmt auch an ihr vorbeigegangen.
„Und was hat Mr. Abbot mit Miss Cronin zu tun?“, hakte Mrs. Renfrew nach, um ihre Besucherin wieder zum Ausgangspunkt der Geschichte zurückzuführen. „War er einer ihrer Verehrer?“
Mrs. Garvey seufzte. „Wir wären alle glücklich gewesen, wenn aus den beiden ein Paar geworden wäre“, erzählte sie. „Aber daraus ist leider nie etwas geworden. Mr. Abbot ist zwar ein wirklicher Gentleman, scheint indes leichtsinnigere Mädchen als Leonore zu bevorzugen.“
Lilly war erleichtert, das zu hören. Pierce Abbots charmante Bemerkungen hatten also nichts zu bedeuten.
„Der Bursche hat demnach wenig mit einem Märchenprinzen gemein. Er ist nichts für mein Mädchen“, erklärte Mr. Renfrew bestimmt.
„Das finde ich auch“, stimmte seine Tochter ihm zu. „Dann sind wir also einer Meinung, dass ich trotz der großen Ehre Mrs. Abbots Musikabend nicht besuchen sollte.“
„Unsinn!“, erklärte Mrs. Renfrew. „Mr. Abbot wird schließlich nicht der einzige Gentleman dort sein. Vielleicht lernst du einen anderen passenden jungen Mann kennen.“
„Mama!“
„So wunderbar es ist, sie bei uns zu haben – wäre es nicht auch schön, erleben zu dürfen, wie sie heiratet, Vater?“, fragte ihre Mutter Mr. Renfrew.
„Es ist eine großsprecherische Familie, Mutter“, wiederholte er seine Bedenken. „Sie werden wahrscheinlich auch dementsprechend draufgängerische Freunde haben.“
Mrs. Renfrew achtete nicht auf den Einwurf ihres Mannes, sondern wandte sich ihrer Tochter zu. „Der Gentleman, der dich gestern nach Hause begleitet hat, war wohl verantwortlich für diese Einladung, nicht wahr?“
Lilly fühlte sich in die Ecke gedrängt und nickte nervös. „Ja, Mr. Galloway.“
„Ist er ein solcher Draufgänger, wie dein Vater es befürchtet?“
Lilly dachte an das schalkhafte Blitzen in Deegans sanften braunen Augen. Und sie dachte an seine Verwegenheit, sie in der Kutsche zu küssen. War er draufgängerisch? Das stand gewiss ganz außer Frage.
„Nein“, sagte sie laut. „Ich glaube nicht, dass er irgendetwas Draufgängerisches an sich hat.“
Severn schaute kurz von seinem Patiencespiel auf, als der Stuhl ihm gegenüber zurückgeschoben wurde. Trotz der vielen Gäste im Saloon hatte bisher niemand versucht, sich den leeren Stuhl zu nehmen oder Karl zu stören. Er hätte gern geglaubt, dass dies aus Respekt vor seiner Person geschah, doch wusste er, dass die Angst die Leute fernhielt. „Ich dachte schon, du würdest nicht mehr kommen“, begrüßte er mürrisch den Neuankömmling, ehe er eine weitere Karte ausspielte.
„Du wusstest doch, dass ich nicht einfach verschwinden würde“, erwiderte der Mann. Wie viele andere im Saloon hatte er den Hut nicht abgenommen, als er von der winterlich kalten Straße hereingekommen war. Die breite Krempe
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