HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
auch ihren Großonkel davon zu überzeugen, dass es nicht gut war, wenn sie die ganze Zeit auf dem Speicher verbrachte. Am dritten Tag brachte der Onkel ihr ein Tablett mit dem Mittagessen und ließ sich ihr gegenüber nieder, nachdem er einen großen Stapel Zeitungen beiseitegeschoben hatte. Georgiana war gezwungen, ihre Arbeit für einen Moment zu unterbrechen.
„Hast du gefunden, was du gesucht hast?“, erkundigte sich Silas und nahm seine Brille ab, um die Gläser zu putzen.
„Ja“, erwiderte Georgiana. „Ich habe Listen angefertigt, und es sieht ganz so aus, als ob mein Verdacht sich bestätigt. Es war mir eine große Hilfe, deine Sammlung durchsehen zu dürfen.“
„Ich bin froh, dass sie für jemanden nützlich ist“, erwiderte er lächelnd und setzte die Brille wieder auf. Er beobachtete sie mit seinen intelligenten Augen genau, und sie fühlte sich seltsam unwohl, fast wie ein Schüler, der seinen Lehrer enttäuscht hatte.
Schließlich lehnte sich Silas gegen die Holzbretter, die sich hinter ihm befanden, und besah sich das Chaos auf seinem Speicher. „Bertrand wird allmählich ungeduldig“, sagte er.
„Ich weiß. Er kommt jede Stunde hier herauf und unterbricht mich“, beschwerte sich Georgiana. „Eigentlich wollte ich ja nur die alten Zeitungen durchgehen, aber dann habe ich begonnen, mich nach dem Aufenthalt des Diebes in den letzten Monaten umzuschauen; das dauert natürlich länger.“
„Tatsächlich?“, fragte ihr Onkel, und Georgiana spürte, wie sie rot wurde. „Wenn du noch immer Ermittlungen für deinen Fall anstellen musst, dann kannst du gern hier oben bleiben, so lange du willst. Aber wenn du dich nur auf meinem Speicher vergräbst und vor Dingen versteckst, die nicht so leicht zu verstehen sind …“
„Was hat dir Bertrand erzählt?“, wollte sie hitzig wissen. Wer konnte ihr vorwerfen, dass sie ihren Aufenthalt hier verlängern wollte, wenn sie bei ihrer Rückkehr nach Bath nur wieder mit all den unglücklichen Gefühlen konfrontiert war? Das Bedürfnis, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen, war in den Hintergrund gerückt. Ihr einstmals so klares Ziel war durch Gedanken an den Mann vernebelt, der inzwischen seinen Schatten über die ganze Untersuchung geworfen hatte.
„Er erwähnte einen gewissen Marquess“, sagte Silas vorsichtig.
„Meinen Assistenten!“, protestierte Georgiana. „Ashdowne ist mein Gehilfe, sonst nichts.“ Sie vermied den durchdringenden Blick ihres Onkels und hob eine Zeitung auf, die sie blind anstarrte. Warum mischte er sich plötzlich in ihre Angelegenheiten, wenn ihn gewöhnlich doch nichts anderes kümmerte als seine gelehrten Bücher?
„Also gut. Aber hör auf den Rat eines alten Mannes, meine Liebe.“
„Natürlich“, sagte Georgiana und fühlte sich ein wenig undankbar, wenn sie daran dachte, was ihr Onkel schon alles für sie getan hatte.
„Gut“, erwiderte Silas mit einem sanften Lächeln. „Begeh nicht denselben Fehler wie ich und versenke dich so sehr in deine Studien und Projekte, dass du die Menschen um dich herum vergisst.“
Als sie ihn verständnislos anschaute, lachte er leise. „Ich habe ein angenehmes Leben geführt, es hat mir gefallen, aber dein Großvater traf die bessere Wahl. Er hatte Lucinda und deine Mutter und die Enkel.“ Der wehmütige Ausdruck, der auf dem Gesicht ihres Großonkels lag, verblüffte Georgiana.
„Aber sie sind doch alle so dumm“, protestierte sie.
Wieder lachte Silas. „Familie ist Familie, egal wie dumm, und sie gibt einem Halt. Wenn man sich in Büchern, Zeitungen oder Fällen vergräbt, verpasst man vieles im Leben“, warnte er sie. „Du bist ein schönes Mädchen, Georgiana, und ich möchte nicht, dass du so wie ich endest – allein.“ Mit diesen Worten erhob er sich und ging zur Speichertür. „Ich überlasse dich wieder deinen Recherchen“, sagte er sanft.
Georgiana starrte ihm erschrocken hinterher. Sie hatte nie gedacht, dass Silas ihren Großvater beneiden könnte, vor allem, da dieser sich immer darüber beschwert hatte, dass ihn die Kinder störten. Die Zeitung raschelte auf ihrem Schoß. Die Gefühle der Menschen waren so schwer zu verstehen. War es da verwunderlich, dass sie nüchterne Tatsachen vorzog?
Damit war sie wieder bei Ashdowne angelangt. Georgiana hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht ganz ehrlich mit ihrem Onkel gewesen war. Der Marquess war mehr als ihr Assistent, aber was war er? Sich diese Frage zu stellen, hatte
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