HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
Somers tauchte trotzdem in den kühlen See, noch bevor die alte Bridget bemerkt hatte, dass sie fort war. Nicht, dass sie für Bridgets Fürsorglichkeit nicht dankbar gewesen wäre, aber Kathryn war nun schon zwanzig Jahre alt und brauchte weiß Gott keine Kinderfrau mehr. Und Bridget bewachte sie mit Adleraugen.
Die alte Frau, eine entfernte Verwandte, war nicht nur die frühere Amme und Gesellschafterin ihrer Mutter gewesen, sondern auch Kathryns einzige Verbündete gegen die Härte und Einsamkeit der letzten fünfzehn Jahre seit dem Tod ihrer Mutter. Aber Bridget hatte sich in ihrer Sorge um Kathryn zu einem wahren Höllenhund entwickelt. Jetzt versetzten sie schon die wenigen Soldaten König Heinrichs, die ihr Lager auf den Feldern vor der Burg ihres Stiefvaters aufgeschlagen hatten, in helle Aufregung.
Der Mond war als schmale Sichel über den niedrigsten Bäumen zu sehen, und ein diesiger Nebel, der dicht über dem Boden schwebte, ließ den Wald wie ein Feenreich erscheinen. Der See war der perfekte Ort, um allein zu sein und Fluchtpläne zu schmieden. Das war allerdings leichter gesagt als getan. Es entsprach überhaupt nicht ihren Wünschen, König Heinrichs Befehl Folge zu leisten und in London zu erscheinen; dennoch wusste Kathryn, dass sie sich ihm auch nicht offen widersetzen konnte. Ein möglicher Ausweg bestünde aber darin, so zu tun, als ob der Auftrag des Gesandten ihr nie zu Ohren gekommen wäre. Wenn sie also zufälligerweise abwesend sein sollte und die Order des Königs sie offiziell nicht erreichte, dann könnte man sie unmöglich der Nichtachtung königlicher Befehle beschuldigen. Unglücklicherweise war sie sich sicher, dass diese verwünschte Eskorte sie vermutlich in jedem beliebigen Versteck aufspüren würde. Sie hatte den Anführer aus einiger Entfernung gesehen: Er war ein sehr großer, stattlicher Ritter mit dunklem, ungebändigtem Haar, der nicht gerade aussah wie ein Mann, der ihre Weigerung, ihm zu folgen, einfach hinnehmen würde.
Vielleicht wäre es aber möglich, ihm zu entkommen, dachte sie. Zu Pferd war sie so geschickt wie nur irgendein Mann aus der Gegend; und ihre Kunstfertigkeit mit Pfeil und Bogen übertraf die der meisten sogar. Es gab also keinen Grund, warum sie nicht im Wald bleiben und den Soldaten des Königs durchaus wochenlang entgehen könnte. Wenn sie allerdings an den dunkelhaarigen Ritter dachte, musste sie sich eingestehen, dass sie möglicherweise scheitern würde.
Und was war mit ihrem Stiefvater? Wenn er ihr befahl zu gehen und sie sich ihm offen widersetzte … Kathryn schauderte. Sein Vergeltungsschlag würde rascher erfolgen als der des Königs. Es war besser, noch nicht an die möglichen Folgen zu denken.
Kathryn verließ den tieferen Teil des Sees und ging zurück auf das Ufer zu. Im seichten Wasser richtete sie sich auf, löste ihr Haar und ließ die hellblonden Locken frei herunterfallen. Wie sehr sie es liebte, wenn die kalte Luft so wie jetzt über ihren nackten Körper strich. Sie streckte ihre Arme aus, dann über ihren Kopf und genoss das sinnliche Vergnügen, das ihr die kühle Nachtluft bereitete.
Vielleicht würde ihr die Lösung ihres Problems über Nacht einfallen. Noch besser wäre es, wenn Rupert vielleicht von seinen Verpflichtungen in London zurückkehren könnte. Immerhin war es möglich – wenn auch recht unwahrscheinlich, wie sie sich selbst eingestehen musste –, dass er kommen und sie vor dem Schicksal, das ihr König Heinrich zugedacht hatte, retten würde. Als einem von Heinrichs angesehenen Rittern stände es vielleicht in Ruperts Macht, sich für sie einzusetzen.
Ganz entgegen ihrer sonst zuversichtlichen Natur musste Kathryn zugeben, dass bisher nur sehr wenige Angelegenheiten zu ihren Gunsten ausgegangen waren und sie vielleicht nicht auf eine problemlose Rettung hoffen sollte. Sie tat besser daran, auf ihre eigene Eingebung und Unberechenbarkeit zu vertrauen. Unzählige Male hatte sie es geschafft, ihrem Stiefvater und einer Tracht Prügel zu entgehen, indem sie ihn durch ihr unerwartetes Handeln von sich ablenkte und verwirrte.
Sie fragte sich, was der Baron jetzt von ihr erwartete.
Gedankenverloren saß Wolf auf einem umgestürzten Baumstamm am Rande des Waldes und blickte auf den See hinab. Er war überzeugt davon, dass Philip Colston angeordnet hatte, seiner Familie auf ihrem Weg nach Bremen zu Wolfs Mutter Lady Margrethe aufzulauern. Bartholomew, der frühere Earl of Windermere, und sein Sohn John waren vor
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