HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
Weile war auch die alte Bridget auf einem Packpferd zu sitzen gekommen und bildete mit zwei sie begleitenden Rittern aus Wolfs Gruppe die Nachhut.
„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was der König mit so einem nutzlosen, dreckigen Straßenbalg will“, bemerkte Lady Edith laut genug, dass Kathryn es hören konnte.
Wolf fühlte, wie der Körper des Mädchens sich anspannte, dennoch antwortete es nicht auf die bewusst unfreundliche Äußerung der Stiefmutter.
Baron Somers kam polternd aus der Halle in das helle Sonnenlicht und lehnte sich an den Türpfosten neben seine Frau. Er zuckte die Schultern, blinzelte in die Sonne und beobachtete die Abreise der königlichen Gesandten.
„Ich will sie wiederhaben!“, rief er.
Kathryn hörte Wolf ärgerlich brummen, was aber augenscheinlich nicht für die Ohren des Barons bestimmt war.
„Habt Ihr gehört?“, brüllte Somers. „Wenn der König mit ihr fertig ist, dann will ich sie wiederhaben! Brauche das Balg, um mir den Haushalt zu führen.“
Es war schon Nachmittag, als sie endlich Somerton verließen. Wolf hoffte nur, dass er nicht derjenige sein würde, der Lady Kathryn zu Baron Somers zurückbringen musste, nachdem König Heinrich seine Angelegenheiten mit ihr geregelt hatte.
2. KAPITEL
„Ihr könntet jetzt Euren Griff lockern, Herr Ritter“, stieß Kathryn wütend hervor. „Der Rücken Eures Rosses ist so breit wie ein Lastkahn. Es ist mir unbegreiflich, wie Ihr glauben könnt, dass ich hinunterfalle.“
Kathryn war noch nie so eng zwischen den Schenkeln eines Mannes eingekeilt gewesen. Es war ein sehr verwirrendes Erlebnis für sie. Doch sie fühlte sich so zerschunden und ermattet von der langen durchwachten Nacht im Cottage, dass sie sich mit dem Rücken gegen Wolfs Brust lehnte. Er lockerte seinen Griff unwesentlich und äußerte seinen Unmut durch ein Murren. Sie wusste, dass sie vor ihm auf der Hut sein musste. Immerhin war auch er nur ein Mann , und sie hatte schon mehr als genug Erfahrungen mit den Männern aus Baron Somers’ Gefolge gemacht. Schließlich war es Wolf gewesen, der ihre Lage letzte Nacht ausgenutzt hatte.
Es war allerdings sehr beruhigend, dass er sie nicht als Nymphe vom See erkannte. Sie beschloss, dass es sowohl leichter als auch schlauer wäre, ihre Tarnung bis London aufrechtzuerhalten. Sie war sich der Tatsache bewusst, welchen Vorteil es hatte, ein schmutziges, unscheinbares Balg zu sein, im Gegensatz zu einer sauberen, gepflegten Dame. Dies hatte sie bei ihrem Stiefvater und seinen Gefolgsleuten an einem regnerischen Nachmittag vor einigen Jahren gelernt. Zufällig war Lady Edith dazugekommen und hatte so das Schlimmste verhindert. Kathryn überstand den Zwischenfall unbeschadet und um eine Erfahrung reicher.
Nur ungern gab sie zu, dass es ihr keineswegs unangenehm war, wie die starken Arme des Ritters sie nun umfassten, selbst wenn er sie etwas zu fest hielt. Sie hätte fast glauben mögen, dass er sie ein wenig beschützen wollte – und das hatte noch niemand zuvor getan. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich vorzustellen, dass sich jemand um sie sorgte.
Während sie so dahinritten, fragte sie sich, was König Heinrich bloß von ihr, einer Vollwaise, wollte. Er war so beschäftigt gewesen, die Franzosen zu schlagen und eine französische Frau für sich zu gewinnen, dass sie sich nicht erklären konnte, wie er von ihrer Existenz wissen, geschweige denn die Zeit oder Neigung haben konnte, an sie zu denken.
Über ihre eigene Herkunft wusste Kathryn nur, dass ihr richtiger Vater vor ihrer Geburt gestorben war. Ihre Mutter war Meghan, die Tochter von Trevor Russell, dem vormaligen Earl of Meath aus Irland. Wie ihre Mutter jedoch dazu gekommen war, Lord Somers zu heiraten, entzog sich Kathryns Wissen. Aber irgendwie war es geschehen, und so hatte sie Somers zum Stiefvater bekommen. Obwohl sie aus der Zeit vor dem Tod ihrer Mutter nur sehr verschwommene Erinnerungen an ihn hatte, war er ihr damals noch nicht so verwahrlost und grausam vorgekommen. Tatsächlich hatte der Baron erst nach seiner Eheschließung mit Lady Edith und der Geburt seiner eigenen Töchter zu trinken begonnen. Mit der Zeit hatten sich dann Kathryns Lebensumstände immer weiter verschlechtert.
Wenn sie ihr bisheriges Leben zurückverfolgte, konnte Kathryn beim besten Willen nicht begreifen, warum der König sie nach London bringen ließ. Bridget hingegen schien ausgesprochen sicher zu sein, dass es für Kathryn das Beste wäre, Heinrichs Befehl
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