Historical Exklusiv Band 06
Wochen ihres Arrestes hatte Rosalind ihn mit diesen Schreiben, die der Pfarrer – sicher gegen gutes Geld – aufgesetzt hatte, förmlich überschwemmt. Sie bat untertänigst darum, hinausgehen zu dürfen, um Gäste zu verabschieden, um ihrer Tante beim Eiereinsammeln zu helfen, um ein Tischtuch auszuschütteln, um nachzusehen, wie ihr Pferd gestriegelt wird. Verwünschtes Weibsbild! Mit voller Absicht trieb sie ihn zur Verzweiflung mit einer Fülle von Anträgen, die ihm immer seine eigenen Leute aus dem Gasthof mitbrachten und meistens mit dem heuchlerischen Nachsatz schlossen, dass der Bote nur die erlaubte Menge Bier getrunken habe!
Und doch, wie er es all die Tage ohne sie ausgehalten hatte, wusste er nicht. Zunächst hatte er sich geschworen, sie nur etwa eine Woche schmoren zu lassen, ehe er wieder zu Besuch kam. In der Zwischenzeit hatte er Percy Putnam ausgeschickt, um sich im Ort umzuhorchen. Aber Nick konnte es einfach nicht ertragen, Rosalind wiederzusehen. Sie würden doch wieder streiten, und es würde ihn tief verletzen, zu hören, dass er ihr gleichgültig sei nach ihrer unvergesslichen Liebesnacht in Boulogne. Und schlimmer noch, er fürchtete, dass sie sich tatsächlich Vergehen schuldig gemacht hatte, die er verfolgen und bestrafen musste, und das würde ihm sehr schwer fallen.
Er hatte gehofft, die Arbeit an der Fertigstellung der Festung würde ihn ablenken. Die wichtigsten Bauarbeiten mussten vor Wintereinbruch beendet und die Burg bis zum Frühjahr fertig gestellt sein, denn zu diesem Zeitpunkt konnte durchaus eine französische Flotte am Horizont auftauchen. Aber nicht einmal seine Pflichten konnten die quälenden Gedanken an Rosalind fern halten. Nichts, nichts hatte geholfen, sein Verlangen nach ihr loszuwerden. Und diese verdammten Briefe waren eine tägliche Erinnerung daran, was zwischen ihnen fehlgeschlagen war.
Nick war sich im Klaren, dass er erst zur Ruhe kommen musste, ehe er seiner Burgbesatzung oder den Bauleuten weitere Befehle geben konnte. Er schlenderte zu der fast fertigen Brustwehr und blickte angestrengt in Rosalinds Richtung, obwohl er von dem Gasthof nicht mehr sehen konnte als den Rauch aus den Schornsteinen, der sich über dem Tal am hellen Himmel abzeichnete.
Seine einzige Hoffnung war, dass der Arrest der beliebten Wirtin irgendjemand veranlassen würde, zu reden oder zu handeln. Seitdem die kleine Hexe ihm wieder den Kampf angesagt hatte, war er sehr geneigt, einen ihrer engsten Freunde zu arretieren und zu verhören, ohne darauf zu warten, dass sich dieser oder jener zu einer unüberlegten Tat hinreißen ließ. Nick zweifelte nicht daran, dass Rosalind, nachdem er fort war, eine Möglichkeit gefunden hatte, die anderen zu warnen. Doch die einzige Wahl, die ihm blieb, war, sie hier in der Festung einzusperren, und das wollte er ihr nicht antun. Im Übrigen würde ihre Nähe ihn wahrscheinlich dazu verleiten, auf verhängnisvolle Weise seine Pflichten zu vernachlässigen.
Nick stieß einen tiefen Seufzer aus und lehnte sich an den Festungswall, an der die Maurer gerade die letzten Öffnungen für die Kanonen vollendeten. Franklin Stanway, der Meg seit etlichen Tagen nicht gesehen hatte, hatte heute sein Mitleid erweckt, und er hatte ihm die Erlaubnis erteilt, zum Mittagessen in das Wirtshaus zu gehen. Während Nick in Frankreich gewesen war, hatte Franklin Tag und Nacht in der Festung ausharren müssen, obwohl er viel lieber mit seiner Auserwählten beisammengesessen hätte, zumal auch Rosalind nicht im Hause geweilt hatte. Als Nick dann zurückgekommen war, hatte die Arbeit ihm keine Zeit für Tändeleien gelassen. Der Anblick des liebeskranken Steinmetzmeisters hatte Nick gerührt und nebenbei auch die Hoffnung in ihm erweckt, er könne durch ihn etwas über Rosalind hören.
Der Gasthof erschien Rosalind ungewöhnlich ruhig, als sie aus dem Garten kam. Tante Bess war ausgegangen, und so hatte sie das Unkrautjäten übernommen, natürlich nicht, ohne vorher Nick schriftlich um seine gütige Erlaubnis zu bitten.
Der heutige Wächter, Tom Shallcross, folgte ihr auf Schritt und Tritt. Rosalind mochte all die Männer, die Nick reihum zu ihrer Bewachung schickte, wenn sie es sich auch nicht anmerken ließ. Doch sie schob ihnen, wann immer es möglich war, einen Extrakrug Bier zu. In Gedanken hatte Rosalind bereits wieder ihren nächsten Brief für Nick entworfen. Vielleicht würde er einen Dank enthalten für seine Genehmigung, ihr Pferd zu striegeln. Ein
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