Historical Exklusiv Band 06
sich nicht jedes Mal, wenn er sie ansah, wie eine verschreckte Jungfrau benehmen.
Außerdem, erinnerte sie sich, war er derjenige gewesen, der darauf bestanden hatte, dass sie das Kleid auszog. Mit einer Ruhe, die sie nicht empfand, zupfte sie am Halsausschnitt ihres nassen Hemdes, um es vom Körper abzuziehen.
Er beobachtete sie noch immer.
Sie zwang sich, seinen Blick zu erwidern, und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Stofftasche, die er aus den Resten ihres Unterrockes gemacht hatte. "War dein Ausflug erfolgreich?" erkundigte sie sich.
"Wie bitte?" fragte er langsam.
"Hast du ein Nest mit Möweneiern gefunden?"
Es dauerte einen Moment, bis er ihre Frage verstanden hatte. Mit gerunzelter Stirn blickte er auf die Tasche hinunter, die er umklammert hielt. Viel zu fest, wie es schien. Selbst von ihrem Standpunkt aus sah Sarah, wie etwas Gelbliches durch den Stoff schimmerte.
"Zum Teufel!"
Sarah musste lächeln, und die Spannung zwischen ihnen löste sich in nichts auf.
"Ich werde ein Palmblatt suchen, das wir als Schüssel benutzen können."
Er warf ihr die Tasche zu mit einer Bewegung, die nichts von seiner sonstigen gelassenen Anmut besaß. "Ich hole eines."
Sie umklammerte die Tasche mit ihren verbundenen Händen und ließ sich auf die Knie sinken. Wenig später kehrte James mit einem großen glänzenden Blatt zurück. Sie sah zu, wie er die Eier aufschlug, Eigelb und Eiweiß trennte und die Dotter auf das Blatt gleiten ließ.
Zweifelnd betrachtete sie das Ergebnis. "Und was fangen wir nun damit an?"
"Rohe Eier haben mir noch nie sehr geschmeckt", erwiderte James und verzog angewidert den Mund. "Aber wir müssen unserer Diät aus Fisch und Früchten etwas Nahrhaftes zufügen. Wenn wir das Ganze in großen Zügen schlucken, schmeckt es vielleicht nicht ganz so abstoßend."
Sarah verspürte keinen Wunsch, die rohen Eidotter zu schlucken, genauso wenig, wie sie Appetit hatte auf die übel riechenden Früchte, die er ihr früher schon aufzudrängen versucht hatte.
"Ich habe eine bessere Idee", meinte sie und warf einen raschen Blick auf die glühende Sonne. "Würdest du gehen und einen flachen Stein suchen? Oder ein dünnes Muschelstück? Je dünner, desto besser."
Er verstand sofort, was sie vorhatte. "Natürlich."
Er fand eine dünne, schimmernde Muschel, und Sarah goss den Inhalt der Schale hinein. Mit einem Zweig, den sie unbeholfen in ihren verbundenen Händen hielt, rührte sie die Mischung um. Zu ihrer geheimen Überraschung und Freude begann diese nach einer Weile allmählich zu kochen. Zusammen mit ein paar Bananen, die sie in Scheiben geschnitten und dann kurz erhitzt hatte, ergaben die Eier ein äußerst delikates Mahl.
Dennoch, mit den verwundeten Händen fiel ihr das Essen schwer. Sosehr sie sich auch bemühte, wurde Sarah mit dem schlüpfrigen Ei und der süßen, saftigen Frucht nicht fertig.
"Soll ich dir helfen?"
Sie sah auf. James stand neben ihr, ganz nahe. Viel zu nahe. Seine Augen glänzten auf eine Weise, die ihr im Magen kribbelte, als er ein Stück aus der Muschelschüssel herausnahm. Der verlockende Duft der Eier und süßen Bananen kitzelte ihr in der Nase.
"Mach den Mund auf, Sarah."
Sie konnte seine Hilfe entweder annehmen oder wie ein Welpe das Essen aus der Schüssel lecken. Langsam öffnete sie die Lippen.
Er fütterte sie, Bissen für Bissen. Sarah, die ihre Geschwister während sämtlicher Krankheiten gepflegt und sie mit Häppchen von Toast, in Tee getunkt, gefüttert hatte, war noch nie so umsorgt worden. Sie fühlte sich sehr kindlich und in seiner Nähe äußerst unbehaglich.
"Gutes Mädchen", murmelte er, als sie den letzten Bissen geschluckt hatte.
"Mädchen? Ich fürchte, dieses Stadium habe ich schon vor langer Zeit hinter mir gelassen."
Er verzog den Mund. "Hast du? Das würdest du nicht glauben, wenn du dich jetzt sehen könntest. Dir tropft Saft vom Kinn."
"Es ist sehr unhöflich von Ihnen, Sir, dies zu erwähnen."
Sie schob in gespielter Missbilligung die Lippen vor, wischte sich mit den Fingern das Kinn ab und begann dann, eine Fingerspitze nach der anderen abzulecken. James lachte, lehnte sich an den Baumstamm und kreuzte die Füße. Sarah saß neben ihm, angenehm satt, und fühlte mit jedem ihrer Sinne die beunruhigende Nähe seiner Beine und Hüften.
Es dauerte eine Weile, ehe ihr auffiel, wie häuslich diese Szene war. Wie in grauer Vorzeit hatte James die Nahrung gesammelt, und sie hatte sie zubereitet. Dieses kleine Ritual würde sich
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