Historical Exklusiv Band 06
man ihm seinen Rang in der Marine aberkannt hatte, hatte ihm die Tatsache, von der guten Gesellschaft gemieden zu werden, bisher wenig ausgemacht. Aber jetzt hatte er eine Frau, und der Gedanke, dass Sarah von der Gesellschaft geschnitten würde, wegen seiner wilden Vergangenheit, störte ihn doch sehr.
Er runzelte die Stirn, als er an die Kreise dachte, in denen er einst verkehrt hatte. Er war klug – und zynisch – genug, um zu erkennen, dass Äußerlichkeiten zuweilen wichtiger waren als Charakter. An seinem Charakter konnte er nichts ändern, mit den Äußerlichkeiten aber war es etwas anderes. Wenn er über ausreichend Geldmittel verfügte, konnte er Kerrick's Keep ein wenig von seinem früheren Glanz zurückgeben, vielleicht sogar mehr von dem Land zurückkaufen, das einst dazugehört hatte. Er könnte wieder über englischen Boden schreiten, seinen Platz im House of Lords einnehmen und ein anständiger Peer des Königreiches werden.
Diese Vorstellung verursachte James ein unangenehmes Gefühl im Magen. Das Meer zu verlassen, das während des größten Teils seines Lebens seine Heimat gewesen war, und ein verdammter Gutsbesitzer werden – das war das Letzte, was er wollte.
Und woher sollte er das Geld nehmen, um seinen Plan zu verwirklichen? Angenommen, die Phoenix schaffte es heil zurück nach England – sein Anteil an der Fracht würde kaum die Reisekosten decken, ganz zu schweigen von den umfangreichen Investitionen, die für den Kauf von Land und die Reparaturen an den Gebäuden nötig wären.
Außer …
Außer, er verkaufte das Schiff.
Das unangenehme Gefühl in seinem Magen steigerte sich bis zur Übelkeit. Die Phoenix zu verkaufen, das wäre, als würde er sich einen Arm abschneiden. Er kannte das Schiff besser als sich selbst. Wusste, was es brauchte, bei gutem und bei schlechtem Wetter. Wie bei einem Ehepaar, das gemeinsam alt geworden war, konnte er jedes Ächzen und Knarren deuten.
Er öffnete seine Fäuste. Die Phoenix war nur ein Schiff. Eine Ansammlung von Holzbrettern, Segeln und Tauen. Sarah aber war seine Frau. Ihr gegenüber war er in erster Linie verantwortlich. Von jetzt an würde sie sein Leben mit ihm teilen. In guten wie in schlechten Zeiten.
Das würde ihn entschädigen für den Verlust …
Und das sollte mehr als genug sein. Für ihn und jeden anderen Mann.
Zuerst aber musste er sie von diesem verdammten Atoll wegschaffen.
Mit einem raschen, prüfenden Blick betrachtete er das Deck. Er hätte wissen können, dass Denham seine Mannschaft nicht auf Trab gebracht hatte. Für James' Geschmack kamen sie viel zu langsam voran bei ihren Aufräumungsarbeiten. Die zersplitterten Masten und verwirrten Taue hätten längst schon von Bord sein können. Die Schiffszimmerleute, so denn welche überlebt hatten, könnten begonnen haben, Bretter und Metall über die Löcher im Rumpf zu nageln, um sie zu schließen.
James musste sich auf die Lippen beißen, um keine Befehle zu brüllen. Er war nicht der Herr auf der Constant. Lieutenant Fortengay gebührte dieses zweifelhafte Vergnügen. James konnte nichts anderes tun, als dem Kadetten, der einst unter ihm gedient hatte, den Rücken zu stärken.
Sobald er an Bord gekommen war, gab George ihm zu verstehen, dass er sich mehr von ihm erhoffte als nur Rückenstärkung. Sein Gesicht war rot und schweißbedeckt, als er auf James zukam.
"Captain Denham ist tot."
Es war eine Feststellung, keine Frage, doch James antwortete: "Jawohl."
Der Lieutenant war zu gut ausgebildet, um etwas Schlechtes über seinen Vorgesetzten zu sagen, doch der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass er den Mann nicht betrauern würde. Dann schluckte Fortengay, als die Schwere seiner neuen Aufgaben ihm voll und ganz bewusst wurde.
James blieb still und fragte sich, wie der junge Lieutenant wohl mit den für ihn neuen Verpflichtungen eines Kapitäns umgehen würde. Er fühlte etwas wie Stolz, als sein früherer Kadett die Schultern straffte und sich an ihn wandte.
"Verzeihen Sie, Sir, wenn ich ganz offen zu Ihnen spreche. Ich vermute, Sie schätzen die Königliche Marine nicht sehr. Das würde ich auch nicht, hätte man mich behandelt wie Sie. Aber ich möchte Sie dennoch um Ihre Hilfe bitten."
"Die ist Ihnen sicher. Sagen Sie mir nur, was ich tun soll."
"Ich habe weniger als ein Jahr unter Ihnen gedient, aber ich habe den größten Respekt vor Ihren Fähigkeiten."
James erwiderte nichts. Er wusste, wie schwierig die Situation für den jungen
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