Historical Exklusiv Band 36
Atem. St. Aubin schien ihr so fern zu sein, obwohl er neben ihr stand. Wie eine Totenglocke klangen in ihrem Kopf die bösen Worte ihrer Tante über ihre niedrige Herkunft. Bedauerte er seinen Entschluss? Könnte er ihn zu dieser elften Stunde des Tages widerrufen?
„Ja, Sir“, antwortete der Bräutigam mit fester Stimme.
Genevras Herz schien zu zerspringen, doch es fand rasch wieder zu seinem ruhigen Schlag zurück. Sie versuchte, sich selbst zu beruhigen. Er wollte sie also nicht beschämen, indem er das Verlöbnis löste. Jedoch selbst wenn er es wollte, wie könnte er jetzt noch zurücktreten, ohne von der Kirche dafür verdammt zu werden und seine Ehre mit Schmach zu bedecken?
„Wirst du sie lieben und ehren und schwörst ihr Treue, bis dass der Tod euch scheide?“
„Ja, Sir“, sprach St. Aubin leidenschaftslos, jedoch mit klarer Stimme.
„Dann nimm ihre Hand“, befahl der Priester, „und sprich mir nach: Ich, Robert, nehme dich, Genevra …“
St. Aubin ergriff ihre eiskalte Hand. Erstaunt bemerkte Genevra, dass die kräftigen Finger, die ihre Hand umschlossen, zitterten. Er war also nicht so ruhig, wie er sich gab. Ihre Hand bebte, und sie schauderte bei dieser Berührung. Wieder begann ihr Herz zu rasen.
„Ich, Robert, nehme dich, Genevra …“, wiederholte St. Aubin.
„… vor dem Angesicht der Kirche“, sprach der Priester weiter, „zu meinem angetrauten Weibe, dem ich ganz angehören will, in Krankheit und Gesundheit, in Reichtum und Armut, in guten wie in schlechten Tagen, bis der Tod uns scheidet, das schwöre ich bei Gott.“
„Das schwöre ich bei Gott“, schloss St. Aubin mit fester Stimme, nachdem er jeden Satz mit gleichmütiger Stimme wiederholt hatte.
Nun war es an Genevra, den Schwur zu leisten. Eine bisher unbekannte Selbstsicherheit erfüllte sie, sie nahm nichts anderes wahr als den Mann an ihrer Seite und wiederholte die Worte mit leiser, aber klarer Stimme.
Auf ein Zeichen des Priesters steckte St. Aubin einen schweren goldenen Ring an ihren Finger. Er sah wie ein altes, wertvolles Familienstück aus und passte doch genau.
„Dann erkläre ich euch zu Mann und Frau“, verkündete der Priester unter dem Geläut der Glocken.
Ein Raunen lief durch die Menge, und die Leute drängten in die Kapelle, um einen guten Platz für die feierliche Hochzeitsmesse zu ergattern.
Die Worte des Ehegelöbnisses klangen in Genevra nach. Während der Priester die Messe las, schwor sie, ihrem Mann immer treu zu bleiben, ihn zu lieben und für ihn zu sorgen und ihm mit allen ihren Kräften zu dienen. Sie betete, dass sie Glück in dieser Ehe finden und vielen Kindern das Leben schenken werde.
Sie hätte nicht sagen können, woran ihr Gatte gerade dachte. Sein Gesicht blieb die ganze Zeit ausdruckslos. Doch Genevra spürte, dass er mit dieser Miene nur seine wahren Gefühle verbarg. Er war zur Liebe fähig, könnte sie nur den Schlüssel zu seinem Herzen finden.
Nach der Messe trug der Priester die Eheschließung in das Kirchenbuch ein und gab ihnen nochmals seinen Segen, bevor sie sich zum Hochzeitsmahl begaben.
Während der Festlichkeiten, die noch prunkvoller waren als jene nach dem Turnier, blieb Genevra ruhig, teilte den Becher mit St. Aubin und aß hin und wieder ein Stück Fleisch, das Alan ihnen vorlegte.
Sie hatte den Ehrenplatz neben Northempston. Von Zeit zu Zeit wandte er sich ihr zu, es gab indes kaum Gelegenheit zu einem Gespräch, denn er hatte für Unterhaltung gesorgt. Narren und Jongleure, Akrobaten und ein fahrender Minnesänger, der zur Laute süße Liebeslieder sang, boten den Gästen Kurzweil und Spiel. Dazwischen spielten die Musikanten des Earl von der Galerie zarte Melodien.
Die Liebeslieder wühlten ihre Gefühle noch mehr auf, die schon durch die Stimmung im Saal, die Hitze der Kerzenflammen und den Wein bis zur Erregung gesteigert waren. Sie warf einen Blick zu ihrem Gatten. Er hatte dem Wein mehr zugesprochen als sonst. Sie selbst trank nur so viel, um dem Kommenden tapfer entgegenzusehen.
Und als später der Ruf ertönte und Damen und Herren kamen, um das junge Paar ins Brautgemach zu geleiten, verließ Genevra die Halle in einer angespannten Stimmung, um sich, wie es der Brauch war, für die erste Nacht vorbereiten zu lassen. Doch ihr Herzenswunsch war in Erfüllung gegangen, Robert St. Aubin war ihr Gatte, und es war ihr gleich, ob die ganze Welt die Freude mit ihr teilte.
Mit Lärm und lautem Reden brachte man sie in das Gemach, das Northempston
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