Historical Lords & Ladies Band 40
von widersprüchlichen Gefühlen erfasst. Ihre Knie zitterten, und sie sank kraftlos auf den Stuhl hinter dem wuchtigen Mahagonischreibtisch. Hatte sie es sich nur eingebildet – oder war er nahe daran gewesen, sie zu küssen? Und warum empfand sie diese unerklärliche bittere Enttäuschung, weil er es nicht getan hatte? Vergaß sie ihre Selbstachtung? Würde sie einem Mann, der sie wegen einer anderen Frau so schmählich im Stich gelassen hatte, solche Freiheiten erlauben? Nein, versuchte sie sich einzureden. Doch sie musste sich eingestehen, dass sie ihm den Kuss wohl kaum verwehrt hätte.
Um diesen beängstigenden Gedanken zu verdrängen, nahm sie ein Blatt Papier aus der obersten Schublade. Einen Federkiel in der Hand, hielt sie inne. Wie konnte sie ihrer Schwester versichern, sie würde ihr Herz nie wieder an diesen Mann verlieren, wenn der Keim des Zweifels in ihrer Brust wuchs? Und so schrieb sie nur, sie sei mit ihrer Nichte wohlbehalten in Moor House eingetroffen und würde in ein oder zwei Wochen nach Taunton zurückkehren. Sorgsam faltete sie das Blatt zusammen, griff noch einmal in die Schublade und tastete nach einer Siegelmarke. Dabei berührte sie einen kleinen ovalen Gegenstand.
Eine Zeit lang hielt sie die Miniatur in der Hand und betrachtete das unschuldige Gesicht eines sechzehnjährigen Mädchens, bevor sie den Blick zu dem Porträt hob, das über dem Kamin hing. Wenn Christian auch gewisse Mängel in diesem Bild erkannte – Louisa Berringham war atemberaubend schön gewesen. Goldblonde Locken fielen auf weiße Schultern und einen sanft gerundeten Busenansatz, tiefblaue Augen beherrschten ein exquisites herzförmiges Gesicht mit einer zarten, geraden Nase und vollen sinnlichen Lippen.
Erfolglos bekämpfte Megan ihre Eifersucht. Sophie mochte nicht verstehen, warum Christian diese Frau ihrer Tante vorgezogen hatte. Aber sie selbst verstand seine Gründe nur zu gut. Das hübsche Gesicht auf der Miniatur verblasste neben der verführerischen Schönheit, die lächelnd aus dem vergoldeten Rahmen herabblickte. Aber was völlig unbegreiflich war – warum verwahrte Christian das kleine Bild des Mädchens, dem er vor fast sieben Jahren den Laufpass gegeben hatte?
7. KAPITEL
M egan hatte stets von sich angenommen, sie sei eine vernünftige junge Frau, die in allen Situationen einen klaren Kopf behielt. Aber nach einer Woche in Moor House verstand sie ihre eigenen Gedanken und Gefühle nicht mehr. Sie hatte allen Grund, den Boden unter Christian Blackmores Füßen zu hassen. Trotzdem fiel ihr das unendlich schwer, weil er ihrer Nichte und ihr selbst so freundlich und rücksichtsvoll begegnete. Was Sophie betraf, war seine Fürsorge sehr erfolgreich. Sie betrachtete Moor House bereits als ihr Heim und schien sehr gern hier zu leben, mit oder ohne Tante Megan.
Natürlich sollte sich Megan darüber freuen. Doch es gelang ihr nicht. Früher war das Mädchen mit allen Problemen zu ihr gekommen und nie enttäuscht worden. Nicht zuletzt deshalb hatte sich eine besonders innige Beziehung zwischen ihnen entwickelt. Jetzt wandte sich Sophie immer öfter an ihren Vormund, wenn sie Rat und Hilfe brauchte, und das kränkte ihre Tante. Fast jeden Tag ritten die beiden zusammen aus, oder sie führten angeregte Gespräche in der Bibliothek. Megan spürte, wie ihre Position als wichtigste Vertraute ihrer Nichte untergraben wurde, und sie war ehrlich genug, um sich ihre Eifersucht einzugestehen.
„Bald werden Christian und Sophie von ihrem Ausritt zurückkehren“, meinte Mrs Gardener, nachdem sie ihre Handarbeit kurz unterbrochen und einen Blick zur Uhr auf dem Kaminsims geworfen hatte. Zum ersten Mal war sie nach dem Lunch im Erdgeschoss geblieben, hatte aber ihre Stickerei in den Salon mitgenommen, um keine Minute untätig verstreichen zu lassen. Währenddessen las Megan ein Buch.
„Ja, vermutlich“, antwortete sie mechanisch. Sie versuchte nicht mehr, sich auf ihre Lektüre zu konzentrieren, die sie von Anfang an nur mäßig interessiert hatte. In letzter Zeit gab es fast nichts mehr, was ihre Aufmerksamkeit fesselte. Teils erbost, teils gelangweilt seufzte sie und starrte durch das Fenster in den sonnigen Januarnachmittag. Ein Spaziergang würde ihr vielleicht helfen, die wirren Gedanken zu ordnen. Zumindest würde sie dem Haus für eine Weile entrinnen. „Dieses schöne Wetter sollte man nutzen. Ich werde mir ein bisschen die Beine vertreten.“
„Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie nicht begleite,
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