Historical Lords & Ladies Band 40
die alles Mögliche verkauften und kauften: Hühner und Ziegen, Gemüse und Obst, Butter und Käse sowie Hüte und Stoffe. Ein unbeschreiblicher Lärm herrschte.
Schließlich holte sie tief Luft und stürzte sich zusammen mit dem kleinen Ned in das Menschengewimmel. Als sie gleich darauf spürte, dass der Captain ihren Ellbogen mit der Hand umschloss, spürte sie Erleichterung, auch wenn sie das nie zugegeben hätte. Er führte sie durch die Menge, wobei er die zudringlichen Händler und Bettler abwehrte, bis sie auf der anderen Seite des Platzes waren.
„Wohin jetzt?“, fragte er.
„Ich weiß es nicht. Wir sollten uns noch einmal nach dem Weg erkundigen.“
Nachdem Duncan bei einem Vorübergehenden eine kurze Auskunft eingeholt hatte, gingen sie weiter. Wenig später erreichten sie ein Gewirr von engen Gassen, eine trübseliger als die andere. Helen war froh, den Captain bei sich zu haben. Nachdem sie noch mehrmals nach dem Weg gefragt hatten, hielten sie vor der Tür eines schmutzigen kleinen Hauses an und klopften. „Hoffentlich ist dein Bruder da, Ned“, sagte Duncan. „Mir liegt nichts daran, ihn in der ganzen Stadt zu suchen.“
Die Tür ging auf, und ein Mann in den Zwanzigern stand auf der Schwelle. Er trug lediglich Hosen. Sein Oberkörper war nackt. Der Anblick schockierte Helen so, dass sie nach Luft schnappte.
„Ich erledige das“, sagte Duncan. „Warten Sie am Ende der Gasse auf mich. Und reden Sie nicht mit Fremden.“ Ohne auf ihre Antwort zu warten, schob er Ned vor sich her ins Haus und schloss die Tür.
Helen tat, wie ihr geheißen. Es war töricht gewesen, auf ihrem Vorhaben zu beharren. Was hätte sie ohne den Captain getan, wenn sie plötzlich diesem halb nackten Mann gegenübergestanden wäre? Zudem hätte sie allein den Rückweg zum Gasthof nicht mehr gefunden. Ihre Reise hatte kaum begonnen, und schon hatte sich ihre Unzulänglichkeit erwiesen.
Sie war froh, als der Captain ein paar Minuten später wiederkam. Im Gasthof erwartete sie ein neuerlicher Schreck. Die Kutsche war im Begriff, ohne sie weiterzufahren. Gerade lud der Begleiter ihren Koffer aus.
„Bitte stellen Sie ihn zurück“, rief sie. „Ich bin da und abfahrbereit.“
„Wir ebenfalls. Sie scheinen nicht zu begreifen, dass wir unseren Fahrplan einhalten müssen, Miss. Die Passagiere erwarten, pünktlich anzukommen. Sie halten uns jetzt zum zweiten Male auf.“ Da der Captain ihm eine Guinee in die Hand drückte, willigte er ein, den Koffer wieder einzuladen.
Duncan hielt Helen am Arm zurück. „Einen Augenblick noch, Madam.“
Sie drehte sich erstaunt um. „Aber wir müssen einsteigen, sonst bekomme ich erneut Schwierigkeiten.“
Er lächelte. „Nein, das Geld wird uns noch ein oder zwei Minuten kaufen. Ich möchte privat mit Ihnen reden.“
„Captain, ich danke Ihnen, dass sie mich begleitet und die Sache in die Hand genommen haben. Was gäbe es sonst noch zu sagen?“
„Ich habe etwas für Sie. Wenn Sie mir nicht erlauben, es Ihnen privat auszuhändigen, muss ich es in der Kutsche tun, und das wird Ihnen sicher nicht gefallen.“ Als sie zögerte, fügte er hinzu: „Setzen wir uns dort drüben auf die Bank, wo wir von jedem gesehen werden können. Inzwischen sollten Sie doch wohl wissen, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben.“
Helen gestattete ihm nur widerstrebend, sie zu der Bank unter dem Fenster des Gasthofes zu führen. „Captain, ich mag keine Geheimnisse …“, begann sie.
Er nahm lächelnd den Tschako ab und kippte ihr den Inhalt auf den Schoß. Helen entdeckte zu ihrem Erstaunen eine Damenbörse, eine Uhr und eine Brillantnadel. Sie fuhr mit der Hand zu ihrem Kragen, wo die Brosche gesteckt hatte, obwohl sie bereits wusste, dass sie sich nicht mehr dort befand. Auf ihrem Schoß lagen noch ihre Uhr und die Börse, die am Taillenband ihres Kleides befestigt gewesen war und ihre gesamte Barschaft enthielt. Sie hatte sie unter ihrem Mantel für sicher gehalten.
„Diese Dinge gehören mir. Haben Sie sie mir weggenommen?“
„Warum sollte ich das tun?“
„Um mir eine Lektion zu erteilen.“
„Das war nicht nötig, Miss … wie heißen Sie?“
„Sadler“, erwiderte sie nach kurzem Zögern. „Ich bin Miss Sadler.“ Ihr Vater war ein bekannter Mann gewesen. Der Captain hatte bestimmt von ihm und der beschämenden Art seines Todes gehört, auch wenn er ihn nicht persönlich gekannt hatte. Aus diesem Grund entschied sie sich für Daisys Nachnamen.
„Miss Sadler“,
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