Historical Lords & Ladies Band 40
wiederholte er langsam, ohne zu wagen, sich auch noch nach ihrem Vornamen zu erkundigen. „Ich vermutete, dass der Junge etwas Derartiges versuchen würde. Bevor ich ihn bei seinem Bruder ließ, der über sein Auftauchen nicht gerade überglücklich war, gab ich vor, ihm beim Ausziehen seiner Jacke zu helfen. So zerlumpt das Kleidungsstück auch wirkte, es hatte eine stabile Innentasche. Er händigte mir diese Sachen aus und war froh, nicht der Polizei ausgeliefert zu werden.“
„Offenbar stehe ich erneut in Ihrer Schuld, Captain.“
„Es war töricht von Ihnen, Ihr ganzes Geld an einem so leicht zugänglichen Ort zu bewahren“, sagte er lächelnd. „An Ihrer Stelle würde ich es besser verstecken.“
„Woher wollen Sie wissen, dass es sich um mein ganzes Geld handelt?“, fragte sie ärgerlich. „Mein Koffer enthält ausreichende Mittel. Dies ist lediglich mein Reisegeld.“
„Wenn wir schon vom Reisen sprechen – ich verstehe nicht, weshalb Sie allein reisen. Sie sind durchgebrannt, nicht wahr?“
„Das geht Sie nichts an, Captain. Ich denke, wir sollten endlich einsteigen. Und bitte machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.“ Helen stand auf und schritt mit trotzig erhobenem Kinn in Richtung der Kutsche.
„Halten Sie mich für den Typ Mann, der ruhig zuschaut, wie sich ein naives Mädchen in Schwierigkeiten bringt?“, fragte er, während er neben ihr herging. „Auf den Straßen gibt es viele Gauner, die keine Skrupel hätten, Sie zu berauben. Ist Ihnen dieses Risiko nicht bekannt?“
„Risiko hin oder her … ich habe keine andere Wahl, Captain.“
Er war schon im Begriff, nach dem Grund zu fragen, nahm aber davon Abstand, da ihnen der Kutschenbegleiter ungeduldig zurief, sie sollten endlich kommen. Duncan und Helen stiegen in die Kutsche, die sich sofort in Bewegung setzte. Der Farmer und die geschminkte Frau hatten ihre Reise beendet. Ihre Plätze hatten ein schwer einzuordnender Mann um die Dreißig, der einen bellenden Husten hatte, sowie eine junge Mutter mit ihrem Säugling eingenommen. Das Baby, dem das Rütteln offenbar missfiel, schrie ununterbrochen.
Helen starrte aus dem Fenster. Sie war sich der Tatsache, dass sich ihr Oberschenkel und der des Captain, nur durch ihre Röcke und seine blassblauen Hosen getrennt, berührten, nur allzu bewusst. Da sie bisher abgesehen von ihrem Vater noch nie einem Mann so nahe gewesen war, übte das eine seltsame Wirkung auf sie aus. Es kostete sie Mühe, nicht an ihrem Mantel zu zerren und zu versuchen, etwas mehr Abstand zwischen sich und den jungen Offizier zu legen.
Helen hatte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, die Täuschung aufrechtzuerhalten, eine einfache junge Frau mit begrenzten Mitteln zu sein, die es gewohnt war, für sich selbst zu sorgen. Ob der Captain die Wahrheit ahnte? Sie kam zu dem Schluss, dass das nicht möglich und sie überempfindlich war.
Sie entspannte sich ein wenig, lächelte die ihr gegenübersitzende junge Mutter an und erkundigte sich nach dem Namen des Babys.
Duncan hörte sie reden, und die Mutter des Säuglings antworten, hätte aber nicht sagen können, worüber sie sprachen. Er dachte über die junge Dame an seiner Seite nach. Warum wollte sie ihren Namen nicht verraten? Warum hatte sie keine andere Wahl, als allein zu reisen? Hatte sie ihr Zuhause in Schande verlassen? Und um wen trauerte sie?
„Würden Sie ein geöffnetes Fenster vorziehen?“, erkundigte sich Helen bei dem hustenden Mann. „Die frische Luft …“
„Oh, nein“, fiel die Mutter ihr ins Wort. „Das Kleine könnte sich erkälten.“
„Bitte beunruhigen Sie sich meinetwegen nicht“, sagte der Mann, der hinter seinem Taschentuch auftauchte. „Ich bin an meine Heimsuchung gewöhnt.“
Aber ich nicht, dachte der Captain. Das Husten war fast so störend wie das ständige Geschrei des Kindes. Weshalb vermochte die Mutter es nicht zum Schweigen zu bringen?
„Ob es wohl bequemer für das Kleine wäre, wenn Sie in Fahrtrichtung sitzen?“, fragte Helen. „Wir könnten unsere Plätze tauschen.“
„Nein“, rief der Captain in scharfem Ton. „In einer fahrenden Kutsche darf man das nicht. Sie könnte umkippen oder von der Straße abkommen.“
„Oh je, das tut mir leid“, sagte Helen. Sein Einwand war für sie ein weiterer Grund, ihn nicht zu mögen – nicht weil er unrecht, sondern weil er recht hatte. Der Kutscher versuchte, die verlorene Zeit aufzuholen und trieb die Pferde zu einem schnellen Tempo an. „Soll ich
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