Historical Platin Band 04
bis sie sicheren Halt gefunden hatte, schwang sich dann mit Unterstützung seines Schildknappen auf den Schimmel und gab das Zeichen zum Aufbruch.
Als man schließlich nachmittags die letzte, vor Nantes gelegene Anhöhe überwand, war Mellisynt so ermattet, dass sie vor Kälte kaum noch die Hände spürte und kein Gefühl mehr in den Beinen hatte. Dumpf starrte sie auf die im Sonnenlicht vor ihr liegende Stadt. Auf einem Hügel ragte ein trutziger Wehrturm auf, der die zu seinen Füßen liegende, von wuchtigen Mauern umfriedete Ortschaft zu bewachen schien. In der Ferne sah man die eisverkrustete Loire sich durch die winterlich kahle, zur Bucht erstreckende Ebene schlängeln. Hie und da lagen Treidelschiffe am Ufer.
Geraume Zeit verstrich, bis man in die Stadt gelangt war und Messire Edgemoor vor einem niedrigen Fachwerkhaus anhielt. Der Knappe half ihm vom Sattel, und ein Rossknecht hob Mellisynt vom Zelter. Dann geleitete der Sieur sie in das Gebäude und führte sie in einen angenehm warmen Raum. Froh, sich ausruhen zu können, ließ sie sich auf dem weichen, in der Nähe des Kamins stehenden Faltstuhl nieder. Bedienstete brachten ihr und dem engsten Gefolge ihres Verlobten Humpen voll dampfenden Würzweins, und ein Mann überreichte dem Seigneur ein Pergament.
Richard brach das Siegel, entrollte die Schrift und las sie. „Euch bleiben zwei Stunden, Madame!“, verkündete er. „Dann habt Ihr im Kloster der Zisterzienser zu sein. Seine Gnaden, der Herzog, wird, da er unser Lehnsherr ist, unsere Eheschließung bekunden. Mich befiehlt er unverzüglich zu sich. Reicht Euch die Zeit für die Vorbereitungen?“
„Gewiss“, antwortete Mellisynt, da ihr klar war, dass Einwände nichts gefruchtet hätten. Sie hoffte, sich bis zur Zeremonie so weit erholt zu haben, dass sie dem Duc de Bretagne gefasst entgegentreten konnte. Noch einmal würde sie nicht, wie vor vielen Sommern, zitternd und ängstlich vor ihm erscheinen. Damals war sie sehr verstört gewesen, als er sie lachend mit Frodewin de Trémont zusammengegeben hatte.
„Die Mägde werden Euch zur Hand gehen. Zu gegebener Zeit geleitet Barthélemy de Malville Euch dann zur Abtei.“ Richard verneigte sich knapp und verließ die Stube.
Mellisynt schaute ihm hinterher, ließ sich, sobald er nicht mehr im Raum war, zurücksinken und seufzte. Sie war sicher, dass es nie irgendwo ein Weib gegeben hatte, das sich weniger auf die Trauung und die nachfolgende Hochzeitsnacht gefreut hatte denn sie.
3. KAPITEL
Richard ritt mit seiner Eskorte durch die schmalen Gassen, in Gedanken mit der bleichen, unscheinbaren Dame befasst, die bald seine Gattin sein würde. Er hoffte inständig, sie möge sich rasch von den Anstrengungen der Reise erholen, da ihm die Aussicht nicht behagte, mit einem unwilligen, ermatteten Weib das Beilager zu vollziehen, weder in der kommenden Nacht noch je, so wie das bei der ersten Gemahlin der Fall gewesen war. Andererseits hatte sie bei ihm den Eindruck hinterlassen, dass sie scharfsinniger und geriebener war, als man auf den ersten Blick vermuten konnte. Er wurde den Verdacht nicht los, dass sie bei dem Hinterhalt doch die Hände im Spiel gehabt hatte. Nachdem er sie dessen bezichtigt hatte, war ihm ein jähes zorniges Aufflackern in ihren Augen aufgefallen. Gewiss, sie hatte bekundet, Wort halten zu wollen, doch er war nicht geneigt, auf die Versprechungen eines Weibes zu bauen. Sollte Madame de Trémont angenommen haben, sie könne ihre Zukunft selbst bestimmen, so hatte sie sich getäuscht.
Auf dem Hof des befestigten Ritterhauses angekommen, ließ er sich aus dem Sattel helfen, schritt hinter dem Vogt in das Logis und betrat, nachdem ein Kämmerling ihn bei Seiner Gnaden Geoffroir Plantagenet d’Anjou, Duc de Bretagne und Comte de Richmond, angekündigt hatte, das Gemach.
Geoffroir unterbrach das Gespräch mit den Chevaliers, wandte sich zu Monsieur d’Edgemoor um, der ehrerbietig das Knie vor ihm beugte, und hieß ihn, sich zu erheben. „Ihr trefft spät ein. Ich hatte angenommen, Ihr würdet bereits die Wonnen des Beilagers mit der schönen, reichen Witwe genießen, Sire, noch ehe sie Euch anvermählt ist“, sagte er schmunzelnd.
„Nein, Monseigneur“, widersprach Richard. „Mein Tross kam recht langsam voran, da sie nicht gut zu Pferd saß.“ Im Stillen fragte er sich, wie es kam, dass er so hoch in der Gunst des Lehnsherrn stand. Der rothaarige Herzog war oft sehr starrsinnig,
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