Historical Saison Band 09
Myers lesend am Fenster saß. Erstaunt legte er sein Buch beiseite und begrüßte Sophie herzlich.
„Möchten Sie sich vor dem Dinner noch etwas frisch machen, Sophie?“, fragte Lady Myers.
„Ja, danke. Gern.“
Eines der Mädchen zeigte ihr das Gästezimmer. Das Bett war bereits bezogen. Auf dem Waschtisch standen eine große Schüssel und ein Krug mit warmem Wasser. Doch Sophie begann nicht sogleich damit, sich fürs Dinner umzukleiden. Sie setzte sich auf die Bettkante und barg das Gesicht in den Händen. Hatte sie sich jemals zuvor so erschöpft gefühlt? Sie bezweifelte, dass sie bis zum Dinner würde wach bleiben können. Und dann sollte sie auch noch essen und Konversation machen. Noch schlimmer wäre es natürlich, wenn man sie eingehender nach ihren Zukunftsplänen befragen würde. Und was, um Himmels willen, sollte sie nur sagen, wenn jemand Genaueres über ihre Beweggründe für die Flucht aus London wissen wollte?
Was James und Harriet jetzt wohl gerade taten? Machten sie sich Sorgen? Oder hatte der Duke nur erleichtert die Schultern gezuckt und sich zu seiner Mätresse begeben? Vielleicht saß er auch mit Harriet im Salon, und die beiden amüsierten sich köstlich über die naive junge Frau, die eines Tages auf ihrer Schwelle gestanden und ihnen so viele Probleme bereitet hatte, ehe sie verschwand.
Ich wünschte, ich könnte ihn einfach vergessen, dachte Sophie. Aber stattdessen erinnerte sie sich voller Wehmut an seine Küsse.
Schließlich nahm sie all ihre Kraft zusammen, schlüpfte aus ihrem alten schwarzen Kleid, wusch sich und zog das lila Kleid an, das sie aus Italien mitgebracht hatte. Sie hatte keines der wunderschönen Kleidungsstücke mitgenommen, die Harriet mit ihr ausgesucht hatte. Und in Zukunft würde sie sich ihre Garderobe selbst kaufen müssen.
In Zukunft? Gab es überhaupt eine Zukunft für sie?
Als der Dinner-Gong ertönte, hatte sie gerade ihr Haar mit einem lila Bändchen zusammengefasst. Sie holte tief Luft und begab sich zum Speisezimmer.
Der Raum war mit frischen Blumen geschmückt, der Tisch elegant gedeckt. Nach der Suppe, die mit Frühlingskräutern abgeschmeckt war, wurden verschiedene Gemüsesorten serviert. Dazu gab es Roastbeef und Brathähnchen. Erstaunt stellte Sophie fest, wie hungrig sie war.
Genau wie sie es befürchtet hatte, erkundigte Lady Myers sich nun nach Einzelheiten bezüglich ihres Aufenthalts in Belfont House.
Zuerst antwortete Sophie ausweichend, doch dann erkannte sie, wie gut es tun würde, sich jemandem anzuvertrauen. Und als sie sich nach dem Mahl mit Lady Myers in den Salon begab, damit der Hausherr in Ruhe ein Glas Port trinken konnte, sprudelte alles aus ihr heraus.
„Sie haben vorschnell gehandelt, als Sie Belfont abwiesen“, stellte Lady Myers fest, nachdem Sophies Redestrom endlich versiegt war. „Er ist in jeder Beziehung eine gute Partie. Die Affäre mit Lady Colway hat er, soweit ich weiß, schon vor einiger Zeit beendet.“
„Aber warum hat er mir das dann nicht gesagt?“
„Vermutlich ließ sein Stolz das nicht zu.“ Lady Myers seufzte. „Sie sollten das verstehen, denn in dieser Beziehung sind Sie ihm sehr ähnlich. Ach, ich wünschte, Sie hätten sich nie auf den Weg zu Ihrem Onkel gemacht! Er ist kein guter Mensch, so viel steht fest. Seine Dienstboten behandelt er schlecht. Und was seine Gattin betrifft … Ich bin sicher, dass sie in ständiger Angst vor ihm lebt.“
Sophie fiel der blaue Fleck ein, der Lady Langfords Wange verunziert hatte. „Ich glaube, er schlägt sie“, gab sie bedrückt zu.
„Die Ärmste! Nun, in einem solchen Haushalt können Sie unmöglich leben! Ihr Onkel ist von Natur aus grausam. Und Sie, meine Liebe, hasst er besonders, weil Sie eine Dersingham sind und Ihrer Mama so ähnlich sehen.“
„Ich habe gehört, dass die Feindschaft zwischen den Familien auf eine alte Geschichte zurückgeht.“
Lord Myers, der sich zu den Damen gesellen wollte, hatte die letzte Bemerkung gehört und setzte zu einer Erklärung an. Tatsächlich hatten die Langfords knapp zweihundert Jahre zuvor im englischen Bürgerkrieg zum König gestanden und den größten Teil ihres Besitzes verloren, während die Dersinghams sich auf die Seite des siegreichen Cromwell geschlagen hatten und dafür reich belohnt worden waren.
„Dann muss die Ehe meiner Eltern eine Menge alter Wunden aufgerissen haben“, bemerkte Sophie.
„Ja. Aber was noch viel schlimmer war: Der jetzige Lord Langford war selbst in Ihre Mama
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