Historical Saison Band 12
anderen aufmerksam zuhörte und mit ihr lachte, blieb er dennoch stets kühl und reserviert. Keiner der Damen gab er den Vorzug.
Gleichzeitig wechselte das Bild, das Lexi von ihrem Freund gewonnen hatte. Immer mehr fühlte sie sich von seiner zurückhaltenden Art angezogen. Der Charme seines Lächelns, das er nur sehr selten zeigte, bezauberte sie. Plötzlich sah sie in ihm nicht mehr den vertrauten, stillen Jungen, sondern einen attraktiven und trotz seines ruhigen Wesens sehr selbstsicheren Mann, war fasziniert von der in ihm ruhenden Kraft und seiner würdevollen Ausstrahlung. Ihre Gefühle für ihn wurden so stark, dass sie sie nur schwer beschreiben konnte, doch eines war sie sich gewiss: Gleich ob Junge oder Mann, Freund oder gute Partie – Richard Deverell war der Mann ihres Herzens. Sie gehörten zusammen. Dessen war sie sich so sicher, dass sie es ihm eines Tages sogar eingestand.
Sie waren ausgeritten und hatten die Pferde an einem Zaun angebunden zurückgelassen, um zum Fluss hinunterzugehen. Eine Weile beobachteten sie die Possen der Otter, die im Wasser spielten, und sprachen dabei über alles, was ihnen in den Sinn kam.
„Bleibst du jetzt für immer zu Hause, Richard?“
„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht gehe ich eine Weile zum Militär.“
„Zum Militär!“
„Dabei kann man die Welt sehen. Johnny überlegt sich das ebenfalls.“
„Johnny? Papa würde ihn nicht gehen lassen. Er wird hier gebraucht. Und dich braucht man auch, Richard.“
„Ach, mach dir und mir nichts vor, Alexandra. Du weißt sehr wohl, dass mein Vater keine Freude an meiner Gesellschaft empfindet, und Channings ist so gut verwaltet, dass man mich nicht benötigt. Nein, ich denke, niemand wird mich vermissen.“ In seiner Stimme klang Verbitterung durch.
Eine Weile schwieg Lexi, dann sagte sie leise: „Wir würden dich vermissen, Richard …“
„Es wäre ja auch nur für zwei oder drei Jahre. Ich strebe ganz gewiss keine Militärkarriere an. Aber Johnny hat sich die Idee fest in den Kopf gesetzt. Ich denke, er wird gehen, gleich, was dein Vater sagt.“
„Oh, wenn es Johnnys ausdrücklicher Wunsch ist, dann wird Papa sich sicher von ihm überreden lassen. Johnny bekommt immer seinen Willen.“ Sie schwieg einen Augenblick, während sie darüber nachdachte, was Johnnys Entscheidung für ihren Vater und sie bedeuten würde, ehe sie wütend sagte: „Mein Bruder ist solch ein unbesonnener Holzklotz! Er tut immer das, wonach ihm der Sinn steht, ohne an die Folgen zu denken.“
„Und du tust das nicht?“, fragte Richard und sah sie mit solch neckend verwundertem Blick an, dass sie lachen musste.
„Ich weiß, ich weiß! Die Rawdons handeln, ohne vorher nachzudenken. Wie oft habe ich dich das schon sagen hören? Aber Johnny ist viel schlimmer als ich, und das weißt du auch. Es würde mich nicht überraschen, wenn du ihn in London aus zahlreichen Klemmen hättest herausholen müssen.“ Sie hielt inne, und als sie weitersprach, klang sie ungewohnt gereizt. „Nun will er also zum Militär, und sicher wird er auch diesen Wunsch durchsetzen. Wir alle geben unser Bestes, um Johnny zu Gefallen zu sein, aber das ist ihm gleich! Er zieht fröhlich seines Weges und denkt gar nicht daran, ob er durch sein Handeln jemandem Kummer bereiten könnte.“
„Das klingt fast so, als würdest du deinen Bruder nicht mögen.“
„Im Moment mag ich ihn auch nicht, glaube ich.“ Sie sah auf und bemerkte, dass Richard die Stirn runzelte. „Oh, keine Sorge. Im Augenblick mag ich ihn vielleicht nicht besonders, aber ich werde ihn immer lieben. Trotz all seiner charakterlichen Makel.“
„Oder vielleicht gerade deswegen“, sagte Richard. „Weil er so ist, wie er ist, nicht wahr?“ Er lächelte.
Sein Lächeln ließ sie wie auf Wolken schweben. Plötzlich fühlte sie sich unbändig glücklich und war sich sicher, dass Richard niemals einem anderen Mädchen dieses besondere, neckende, liebevolle Lächeln schenken würde. Dieses Lächeln sparte er sich ganz allein für sie auf. Als er ihr über den Zaunübertritt am Ende des Weges helfen wollte, sprang sie nicht hinunter, wie sie es sonst immer tat, sondern blieb darauf stehen, legte ihm die Hände auf die Schultern und schaute lachend zu ihm hinab.
„Welchen meiner charakterlichen Makel liebst du am meisten, Richard?“, fragte sie und neigte den Kopf. In ihren Augen stand ein freches Funkeln, das Haar fiel ihr in dicken kupferroten Locken über die Schulter und streifte
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