Historical Weihnachtsband 1990
MacKenzies breite Schultern im Geist vor sich sah.
„Kaum vorstellbar, nicht wahr? Heute ist er stark wie eine Eiche. Offensichtlich waren frische Luft, Sonnenschein und viel harte Arbeit genau das Richtige für ihn.
Hier hat es ihm gefallen, und er beschloß zu bleiben. Jahrelang hat er am Aufbau der Ranch gearbeitet, hat immer mehr Land gekauft, bis ,Lazy M' eine der größten Ranches in der Umgebung geworden ist. Sein Vater ist gestorben, als Daniel etwa achtundzwanzig war. Zur Beerdigung, und um den Nachlaß zu ordnen, ist er in den Osten gegangen und ein paar Monate dortgeblieben. Ja, und während er dort im Osten gewesen ist, hat er sich verliebt."
„Mr. MacKenzie?" Das war eine weitere Sache, die Melinda kaum glauben mochte.
Anders als ärgerlich oder zurückweisend konnte sie ihn sich nicht vorstellen.
Lula nickte lächelnd. Sie war ganz von ihrer Erzählung gefangen. „Sie muß hübsch, blond und zierlich wie eine Porzellanpuppe gewesen sein, und sie hat sich in die schönsten Gewänder gekleidet. Daniel hat sich mit ihr verlobt. Als er hierher zur Ranch zurückgekehrt ist, hat er dieses Haus für sie gebaut. Bauholz, reichverzierte Kerzenleuchter und teure Möbel hat er herbeibringen lassen. Er hat keine Kosten gescheut, aber natürlich konnte er es sich auch leisten. Und dann hat er sie geheiratet und hierher geholt. Das muß vor zehn Jahren gewesen sein, etwa 1885.
Damals haben noch nicht viele Menschen in der Gegend um Barrett gelebt."
„Was ist aus ihr geworden?" fragte Melinda und stellte sich ein schönes, zartes junges Mädchen vor, das in Samt und Seide gekleidet war. Zweifellos war sie aus einer reichen, wohlbehüteten Umgebung in einem kühlen, grünen, blühenden Ort im Osten gekommen. Was mußte sie gedacht haben, als sie im Panhandle eintraf und dieses flache, leere Land vorfand? Wie fühlte sie sich, wenn sie den Wind um die Hausecken heulen hörte oder den Schnee in einem endlosen Schneesturm herunterwirbeln sah? Mitleid für die junge Frau überfiel Melinda. Wie sehr sie Daniel auch geliebt haben mochte — was sich Melinda jedoch nur mit Mühe vorstellen konnte —, sie mußte einsam und unglücklich gewesen sein.
„Nun, zwei oder drei Jahre lang sind sie glücklich gewesen. Sie waren jung und verliebt. Die Frau hat ein Baby bekommen, einen kleinen Jungen, und Daniel soll ganz vernarrt gewesen sein in das Kind. Überall hat er ihn mit sich herumgetragen und immer davon geredet, wie er ihm das Reiten beibringen und die Ranch zeigen will, wenn er größer ist. Doch als der Junge erst drei Jahre alt gewesen ist, fuhr Daniels Frau an einem Wintertag in die Stadt. Es fing an, heftig zu schneien, und es wäre klüger gewesen, wenn sie in der Stadt geblieben wären. Aber die junge Frau wollte unbedingt zur Ranch zurück. Sie war überzeugt, daß sie es schaffen würde, bevor der Schnee zu tief wurde. Und sie wollte ihr Kind nicht im Stich lassen. Ihr Kutscher war ebenso wie sie aus dem Osten und wußte es also auch nicht besser als sie. Sie machten sich auf den Weg und kamen in einen Schneesturm. Sie sind von der Strecke abgekommen, und als Daniel und seine Männer sie fanden, waren sie beide erfroren."
„O nein!" Melinda stiegen Tränen für die unbekannte junge Frau in die Augen. Sie tat ihr schrecklich leid. „Das arme Ding."
Lula nickte. „Ja, aber das war noch nicht das Schlimmste. Im selben Winter, nur etwa einen Monat später, bekam das Kind Lungenentzündung und ist ebenfalls gestorben."
„Der arme Mann." Gut konnte sich Melinda in die Schmerzen Daniel MacKenzies einfühlen.
„Es ist eine schreckliche Tragödie gewesen. Sie hat Daniel schwer getroffen. Seitdem ist er verbittert, heißt es. Deshalb hat er nicht wieder geheiratet und kann es nicht ertragen, Kinder um sich zu haben", erklärte Mrs. Moore.
„O ja." In Melindas Augen schimmerten Tränen. Sie war eine gefühlvolle Frau, und wenn ihr Temperament auch dicht unter der Oberfläche saß, so war es doch mit Wärme und Einfühlsamkeit nicht anders. „Das kann ich verstehen." Oft schon hatte sie gedacht, wenn Lee stirbt, könnte ich es nicht ertragen. Einmal hatte sie ein totes Baby zur Welt gebracht, und das hatte ihr fast das Herz gebrochen.
Außerdem hatte er sowohl sein Kind als auch seine Ehefrau verloren. Daniel MacKenzie sollte man bedauern statt ablehnen. Nachdem Melinda nun seine Vergangenheit kannte, fiel es ihr leichter, ihm sein Verhalten nicht übelzunehmen.
Kein Wunder, daß er die Türen zu den
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