Historical Weihnachtsband 1990
brachte eine Kiste mit Orangen und eine große Staude Bananen, die aus Central Texas herbeigeschafft worden waren, sowie einen Mistelzweig mit.
Gewöhnlich kam er auf Zehenspitzen in die Küche, wobei er den Mistelzweig hinter dem Rücken verbarg. Dann schlich er sich hinter ihre Mutter, hielt ihr den Zweig über den Kopf und stahl ihr einen Kuß. Darüber schütteten sich die Kinder aus vor Lachen, während die Mutter ihm mit dem Zeigefinger drohte und so tat, als wäre sie böse. Jeder wußte allerdings, daß ihr Gesicht mehr vor Freude gerötet war als von der Hitze des Herds.
Dann sah Melinda die Strümpfe vor sich, die vom Kaminsims hingen. Neugierig stahlen sie, die Kinder, sich im Morgengrauen des nächsten Tages die Treppe hinunter, um voll Staunen ihre Geschenke zu betrachten. Nachdem sie alles ausgepackt hatten, versammelten sie sich bei knusprigen goldbraunen Waffeln und Speck in der Küche.
Vor dem Essen las ihr Vater die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor. Den ganzen Tag über gab es Berge zu essen, und am Nachmittag wimmelte es im Haus von Verwandten und Freunden, die zu einem Besuch vorbeigekommen waren. Bis zum Abend waren sämtliche Tanten, Onkel und Cousins da. Sobald es dunkel wurde, begannen sie mit dem Feuerwerk.
Großmutter war immer noch eine treue Anhängerin der Südstaaten, die sie oft daran erinnerte, daß Großvater unter Stonewall Jackson gekämpft hatte. Deshalb hielt die Familie nicht viel vom üblichen Feuerwerk am vierten Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag. Und so wurde in ihrer Familie das Feuerwerk an Weihnachten abgebrannt. Melinda erinnerte sich daran, wie sie mit einer funkensprühenden Wunderkerze in Dunkelheit und Kälte über die Wiese lief, während im Hintergrund Knallfrösche krachten. Das alles war ihr vorgekommen, als könnte es auf der Welt nichts Schöneres geben.
Tränen stiegen Melinda in die Augen. Plötzlich bemerkte sie, daß sie mit müßigen Händen dasaß und vergangenen Weihnachtsfesten nachweinte. Sie blinzelte die Tränen aus den Augen, richtete sich auf und kehrte zu ihrer Arbeit zurück.
Als ein paar Minuten später an die Tür geklopft wurde und Mrs. Moore, von Kopf bis Fuß in warme Kleidung gehüllt, hereinkam, war Melinda überrascht. Lachend nahm sich Lula den Wollschal vom Kopf. „Sehe ich nicht wie ein pelziger Bär aus? Draußen ist es immer noch scheußlich kalt, auch wenn die Sonne scheint. Ich habe mich lieber gut eingepackt, denn ich wußte, daß es eine Weile dauern kann, bis ich hier bin." Sie zog die übergroßen Stiefel aus, die sie über den Schuhen trug, und öffnete den Mantel. Es dauerte eine Weile, bis sie sich von ihren äußeren Kleidungsstücken befreit hatte.
„Puhl" stieß sie aus und ließ sich Melinda gegenüber auf einen Stuhl fallen.
Unwillkürlich nahm sie ein Messer zur Hand, um bei der Arbeit zu helfen. „Was für ein Unterfangen! Aber ich mußte aus dem Haus. Will hat nichts zu tun, weil es sogar zum Reiten zu glatt ist. So kann er nicht einmal nach dem Vieh schauen. Den ganzen Tag schon streift er durchs Haus. Schließlich habe ich es nicht mehr ausgehalten."
Melinda lächelte. „Ich freue mich über die Gesellschaft."
„Sie backen Früchtebrot?" fragte Lula mit einem Kopfnicken zu Zitronat, Datteln und Orangeat hin.
„Ja. Ich habe mir gedacht, bei dieser Schar von Männern muß ich eine Menge machen", antwortete Melinda.
„Essen können sie wirklich", stimmte Lula zu. „Ich werde wohl morgen mit dem Backen anfangen müssen. In den letzten paar Tagen habe ich an Opals und meinem Kleid für den Weihnachtsball der Cowboys genäht. Was ziehen Sie dieses Jahr an?"
Melinda unterbrach ihre Arbeit und schaute Lula verwirrt an. „Wissen Sie, den Ball habe ich ganz vergessen. In den vergangenen zwei Jahren, seit dem Tod von Mr.
Ballard, habe ich nicht daran teilgenommen."
Der Weihnachtsball der Cowboys war ein riesiges Fest mit Tanz, das jedes Jahr am Samstag vor Weihnachten von Austin Carter, dem Besitzer des Barrett Hotels, veranstaltet wurde. Aus der ganzen Gegend kamen die Menschen zu diesem Anlaß in die Stadt. Jeder war dazu eingeladen, nicht nur die Rancher und ihre Leute, sondern auch die Städter und Heimstättenbesitzer (* Heimstätte (in den USA): 160
acres große vom Staat den Siedlern verkaufte Grundparzelle (= ca. 65 ha)). Melinda, Robert und Lee hatten in den ersten zwei Jahren nach ihrer Ankunft im Panhandle daran teilgenommen.
„Aber dieses Jahr gehen Sie, nicht wahr? Daniel
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