Historical Weihnachtsband 1990
Ein Vormittagsbesuch von Mrs. Judd kündigte oft unheilvolle Neuigkeiten an, und der Besuch dieses Tages schien keine Ausnahme zu bilden, denn ihre runden Wangen glühten.
„Mrs. Judd! Mom klingle nach Emily, damit sie noch ein Gedeck auflegt", bestimmte Eveline, doch Maria Judd kam ihr zuvor.
„O nein, ich kann nicht bleiben. Ich möchte mich nicht aufdrängen. Aber ich habe Neuigkeiten, die Sie wissen sollten. Guten Morgen, Mary", fügte sie hinzu, als Mary mit dem Marmeladenschüsselchen in der Hand hereinkam.
Sobald sie Maria Judds Aufregung bemerkte, erkundigte sie sich: „Ist etwas passiert?"
„Mrs. Judd hat eine Nachricht für uns", antwortete Eveline. „Sie wollte es uns gerade erzählen."
„Bitte." Mary bot der Besucherin einen Stuhl an, doch Mrs. Judd schüttelte den Kopf.
„Es geht um Ihren Cousin, Mr. Amos Hillyer", begann sie.
„Cousin Amos?" Mary stellte die Marmelade an Grays Platz ab. „Ist ihm etwas zugestoßen?"
„Zugestoßen?" Mrs. Judd schien das Wort zu erwägen. „Nun, vielleicht ist es ihm zugestoßen, obwohl ich eher sagen würde, daß es seine eigene Idee war." Dann verriet sie, da sie die Spannung nicht länger ertrug: „Er hat das Old House verlassen!"
„Verlassen?" Gray zog sein Messer aus der Marmelade. „Sie meinen, er ist fort?"
„Mit Sack und Pack", entgegnete sie voller Zufriedenheit. „Sein ganzes Eigentum hat er mitgenommen und obendrein Dinge, die ihm nicht gehören. Mein Sohn Seth ist heute früh hingefahren, um ihm Kohle zu liefern, obwohl Amos Hillyer noch das Geld für die Novemberlieferung schuldig ist. Aber als Seth mich gefragt hat, ob er ihn beliefern soll, habe ich gesagt, er kann doch niemanden erfrieren lassen. Und außerdem, habe ich ihm gesagt, steht die Familie bestimmt für ihn gerade."
„Nun, ich würde nicht sagen ..." begann Gray, doch Mary fiel ihm ins Wort.
„Natürlich werden wir die Kohlen bezahlen, die Cousin Amos bestellt hat. Sind Sie sicher, daß er verschwunden ist? Vielleicht ist er nur über die Feiertage verreist?"
„Mit sämtlichen Möbeln, von den Antiquitäten, die Ihre Tante Alice hinterlassen hat, ganz zu schweigen? Nein, unmöglich! Er
muß auch schon fort gewesen sein, als es zu schneien begann, denn Seth hat berichtet, daß er keine Wagenspuren im Schnee gefunden hat, und einen Wagen muß Amos Hillyer gehabt haben, um alles mitzuschleppen, was er mitgenommen hat. Soviel Seth gesehen hat, waren die Zimmer so gut wie leer."
„Fort", meinte Eveline. „Dabei ging sein Mietvertrag noch bis zum Frühjahr, und die Miete sollte er in Form von Reparaturen zahlen."
„Na, die bekommen Sie nun nicht mehr von ihm", bemerkte Maria Judd und rückte ihre Wollmütze zurecht. „Ich muß jetzt gehen. Schließlich will ich Sie nicht vom Frühstück abhalten. Auf Wiedersehen, Mrs. Hillyer. Auf Wiedersehen allerseits."
„Da eilt sie hin, damit sie als erste die traurige Botschaft verbreiten kann", stellte Gray flüsternd fest, nachdem sie das Zimmer verlassen hatte. Dann hob er die Stimme. „Ich habe schon immer gesagt, daß es nicht gut ist, Amos das Haus zu überlassen. Er hat in seinem ganzen Leben noch nie eine ehrliche Arbeit geleistet."
„Aber Tante Alice hatte es sich gewünscht", warf seine Mutter ein. „Du weißt, wie gern sie ihn gehabt hat, und er ist kein schlechter Junge gewesen. Erst vergangenen Monat habe ich ihn beim Einkaufen in der Main Street gesehen, und da hat er mir verraten, wie sehr sie ihm fehlte. Ich habe ihm vorgeschlagen, daß er einmal abends vorbeischaut, damit wir versuchen können, sie durch die Alphabettafel (* Hilfsmittel bei spirituellen Sitzungen) zu erreichen. Er hat mir gedankt und gesagt, er würde bestimmt kommen. Jetzt aber vermutlich nicht mehr."
„Wohl kaum", stimmte Gray zu. „Wonach niemand mehr da wäre, der sich um das Old House kümmert. Wie schade, daß Grandfather es unbedingt behalten will."
„Was ist das Old House?" fragte Jack Gates, der das Gespräch verfolgt hatte, ohne allerdings alles zu begreifen.
Eveline antwortete ihm. „Ein scheußlicher alter Trümmerhaufen. Aber Grandfather ist in dem Haus zur Welt gekommen, und deshalb hält er starrsinnig daran fest.
Nachdem er zu Geld gekommen war, hat er dieses Haus hier gebaut, und Tante Alice lebte allein im Old House weiter."
„War sie die Schwester Ihres Vaters?" wollte Gates wissen.
„Nein, Grandfathers", berichtete Gray. „Grandfather hätte sie gern hier bei sich gehabt, aber sie zog es vor, dort
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