Historical Weihnachtsband 1990
dessen Tür vor Alter schwarz war. Im Gegensatz zu Flur und Speisezimmer war die Küche möbliert. Ein schwerer Eichentisch, eine altmodische Kommode, auf der sich wild durcheinander alle Arten von Küchengeräten stapelten, ein halbes Dutzend Stühle mit lederbezogenen Lehnen. Ein fettverschmierter Metalleimer stand auf dem alten Kochherd, und das Geschirr auf dem Tisch enthielt Reste einer kürzlich gekochten Mahlzeit.
Mary berührte den Henkel des Eimers, als wollte sie ihn zu der steinernen Spüle an der gegenüberliegenden Wand tragen. Aber sie ließ ihn, wo er war und fuhr mit den Fingern über die abgenutzte Kante des Herds.
„Urgroßvater Hillyer hat diesen Herd für seine Braut gekauft. Damals war ein Kochherd eine ziemlich moderne Erfindung. Alle Nachbarn waren neidisch. Unter irgendeinem Vorwand kamen sie zu Besuch, und viele befürchteten, daß der Herd wahrscheinlich explodieren und das ganze Haus in die Luft jagen würde. Damit ängstigten sie die Braut so sehr, daß die es nicht wagte, darin Feuer zu machen.
Urgroßvater hat sie angefleht, doch vergeblich. Sie hat im Garten gestanden und die Hände auf die Ohren gepreßt, während er die erste Mahlzeit daraufkochte: Nasse Maisfladen und verbranntes Wildsteak."
„Eine typische Frauengeschichte", bemerkte Jack Gates lächelnd. Mary erwiderte sein Lächeln, und die Natürlichkeit dieser Geste vertrieb die alten Geister. „Mir sind in meinem Leben schon viele Männer begegnet, die anständig kochen konnten", stellte er fest.
„Möglicherweise", gestand sie schulterzuckend ein. „Aber keiner davon ist ein Hillyer gewesen. Tante Alice war eine wundervolle Köchin. Im Ziegelofen hat sie immer Brot gebacken. Dazu hat sie ihn mit trockenem Holz angefeuert, bis die Ziegel glühend rot waren. Dann hat sie die Glut herausgekratzt und das Brot über Nacht im Ofen gelassen. Am nächsten Morgen war es dann durchgebacken, und sie hat es braun, knusprig und warm herausgeholt. Sie pflegte zu sagen, was sie am Altwerden am meisten hassen würde, wäre, daß sie keine Zähne mehr hätte, um Brot aus dem Ziegelofen zu kauen."
Mary schaute den Kamin an und sah im Geist Tante Alice, wie sie am Eichentisch Teig knetete. Sie selbst hatte als Kind dabeigestanden und zugesehen, wie die klebrige Masse unter der Bearbeitung geschmeidig geworden war. Dann erinnerte sich Mary an das rote Funkensprühen, unter dem ihre Tante die Glut aus dem Ofen holte und anschließend Eichenblätter hineinlegte, auf die dann die Brotlaibe kamen.
Jack Gates beobachtete, wie ein geheimnisvolles Lächeln um Marys Mund spielte. Da überfiel ihn auf einmal der Wunsch, Teil ihres Lebens zu sein. Ihre Lippen sollten sich so kräuseln, wenn sie an ihn dachte. In diesem Haus mit ihr zusammenzuleben und glücklich zu sein. Ihr Lächeln zu verdienen . . .
Verrückt, dachte er und schob die Gedanken beiseite. Woran denke ich bloß? Wenn ich es nicht besser wüßte, könnte ich fast glauben, ich wäre verliebt.
Aber das konnte natürlich nicht sein. Er brauchte eine Ehefrau, die Gesellschaft liebte und Gastgeberin in der großen Villa spielen konnte, die er eines Tages zu besitzen hoffte. Eine Frau wie Annabella Woodcross, überlegte er und war überrascht über den Abscheu, der dabei in ihm aufstieg. In einer Hinsicht hatte Mary recht: Dieses alte Haus übte einen Zauber auf ihn aus. Er löste seinen Blick von Marys sanft geschwungenem Mund und richtete ihn statt dessen auf das Geschirr mit den Essensresten. Das mußte Amos Hillyers Abschiedsmahl gewesen sein.
„War er ihr einziges Kind?" fragte Jack Gates, während Mary sich ihm zuwandte.
„Kind?" Mary betrachtete die schmutzigen Teller. „Sie meinen Amos?"
Gates nickte, ohne sich umzusehen. „Ja, ich habe mich gefragt, ob Ihre Tante Alice außer ihm noch mehr Kinder hatte."
„O nein." Marry schüttelte den Kopf und trat an den Tisch, um das Geschirr zusammenzustellen. „Amos ist überhaupt nicht ihr Kind. Seine Mutter war ihre Cousine, und nachdem diese ihn aufgegeben hatte, fragte sie Tante Alice, ob sie es nicht mit ihm versuchen wollte. Das hat Tante Alice natürlich getan", sagte Mary und stellte das Geschirr in die Steinspüle. „Tante Alice hat nie geheiratet, wahrscheinlich, weil sie das einzige Mädchen in einem Haus voller Jungen war, deren Mutter starb, als die Kinder erst halb erwachsen waren. Wenn junge Männer Tante Alice den Hof machen wollten, hat ihr Vater sie verjagt, denn wie hätte er ohne sie zurechtkommen
Weitere Kostenlose Bücher