Historical Weihnachtsband 1991
dem Tisch aus. Jeder Spieler zog eine Karte, um festzustellen, wer als erster gab.
Es war lange her, seit Yancy sich derart amüsiert hatte. Die Dame hatte sich also perfekt männlich in Schale geworfen, und irgendwie hatte sie es sogar fertiggebracht, ihre Brüste wegzubügeln, was ihm fast wie ein Verbrechen vorkam.
Wo in aller Welt hatte sie diesen buschigen Schnurrbart aufgetrieben? Es überraschte ihn, daß sie die anderen so einfach zum Narren gehalten hatte. Hätten nicht ihre zarten Hände, die langen, schlanken Finger und wohlgeformten Nägel ihren Verdacht erwecken müssen? Jedenfalls würde er nun, nachdem sie sich soviel Mühe gegeben hatte, ihn aufzuspüren, kein Spielverderber sein und ihre wahre Identität aufdecken. Sie hatte sich ihr Pokerspiel redlich verdient.
Sie spielten vier Stunden lang, und Amelia hielt sich prächtig. Yancy mußte zugeben, daß die Dame gut war. Gelegentlich lächelte sie, wenn sie einen Pott einkassierte, aber mit keinem
Schlag ihrer langen Wimpern und keinem unwillkürlichen Fingerzittern ließ sie erkennen, was für Karten sie hielt. Sogar bluffen konnte sie.
„Mir reicht's", sagte der Mann mit der Brille. Er warf sein Blatt hin, blieb aber sitzen, um dem weiteren Verlauf des Spiels beizuwohnen.
Eine Stunde später warf der schlanke Mann das Handtuch, und dann dauerte es keine halbe Stunde mehr, bis sich auch der grauhaarige Mann aus dem Spielgeschehen zurückzog. Er lächelte Amelia zu. „Ich muß schon sagen, Adam, Sie spielen sogar besser als Ihr Bruder, und das will was heißen. Also, Freunde, ich denke, wir sollten es für heute nacht gut sein lassen." Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
Amelia wollte nicht, daß das Spiel aufhörte, aber sie wußte nicht, wie sie es verhindern sollte. Die Wette mit Carlton verlangte, daß sie Yancy fünfhundert Dollar abnahm, aber wenn sie auch in Führung lag, so hatte sie doch noch nicht genug, um die Wette zu gewinnen. Sich um ein neuerliches Spiel zu einem späteren Zeitpunkt zu bemühen, kam nicht in Frage. Wenn Carlton erst dahinterkam, was für einen Schabernack sie da gespielt hatte, würde er sie bis auf weiteres nicht mehr von der Leine lassen.
Yancy lehnte sich mit zusammengekniffenen Augen zurück. Die Frau hatte gut gespielt. Wahrscheinlich hatte sie sogar mehr als er selbst gewonnen. Aber Yancy wußte, daß dies nicht der Inhalt der Wette war, bei der es um ihre Zukunft ging.
Zum erstenmal seit Beginn des Spiels spiegelte sich in ihren grünen Augen Verwirrung. Teufel noch mal, sagte er sich, eine Frau mit soviel Mut hat eine Chance verdient. Er lehnte sich wieder vor. „Wissen Sie was, Adam", sagte er nonchalant,
„wir stehen ungefähr gleich. Wie wär's, wenn wir zum Abschluß noch zwei Runden spielten? Hundert Dollar Mindesteinsatz." Er sah, wie sich ihr Blick erhellte und sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen stahl.
„Schön, schön", stimmte sie geschwind zu.
„Sie geben."
Die anderen Männer setzten sich wieder.
Amelia gewann das erste Spiel mit einem Paar Könige. Jetzt hatte sie ihre fünfhundert, aber sie hatte ja eingewilligt, zwei Spiele zu machen. Beim nächsten Spiel gab ihr Yancy zwei Asse. Nachdem bereits wieder hundert Dollar von ihr im Pott lagen, konnte sie nicht aufgeben, denn diese hundert Dollar hätten ihr dann wieder gefehlt. Also setzte sie weitere hundert. Er erhöhte. Sie verlangte die nächste Karte.
Obwohl sie äußerlich weiterhin ruhig wirkte, schlug ihr das Herz bis in den Hals, als sie ein drittes As zog. Dann setzte Yancy, der nur eine Karte gezogen hatte, fünfhundert. Bluffte er? Wenn er zwei Paare hatte, würde ihr Dreier gewinnen. Es stand so viel auf dem Spiel. Sie wollte sehen. Yancy legte einen Straight Flash hin.
Sie hatte verloren.
Alles was Amelia tun konnte, war, zu lächeln und ihre Hand auszustrecken.
„Gratuliere", sagte sie und versuchte, sich überzeugend anzuhören. Sie wandte sich den anderen zu. „Meine Herren, ich bin in der Tat um eine aufschlußreiche Erfahrung reicher geworden." Hocherhobenen Hauptes, die Schultern gereckt, verließ sie den Raum.
★
Geknickt ritt Amelia zu Marys Haus zurück. Wäre es nicht wegen der verflixten Wette mit Carlton gewesen, so hätte sie diesen Abend durchaus genossen. Aber verdammt — im stillen schalt sie sich ob ihrer undamenhaften Gedanken — sie hatte verloren!
Sich bei Ruth zu entschuldigen machte ihr nicht viel aus, obwohl sie weiterhin überzeugt war, daß ihre Schwägerin zu lax
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