Historical Weihnachtsband 1991
wollte ihn abhalten, jetzt schon nach seinen Kräften in die Fußstapfen seines toten Vaters zu treten. Außerdem würden die Amerikaner bald schon Winterquartiere in der Umgebung beziehen, wie Jerrod versprochen hatte. Dann würden sie hier vor Übergriffen der Engländer geschützt sein.
„Tim", rief sie hinunter. „Ich glaube, du bist nun schon alt genug, solche Dinge ganz selbständig zu tun."
„Und ob, Mutter. Mach dir bloß keine Sorgen um mich. Ich komme sehr gut allein zurecht." Das klang so freudig und überzeugt, daß ihr nun doch das Herz weh tat. Es war so offensichtlich, wie der Krieg diesen Jungen über seine Jahre hinaus reifen ließ.
Beth schob die Kerzen und die Krippenfiguren in den Kissenbezug und schloß sorgsam wieder die Fensterläden. Bepackt mit ihren weihnachtlichen Schätzen, tastete sie sich dann vorsichtig im Dunkeln die enge Treppe hinunter. Trotz der eisigen Kälte hatte die Freude über eine Zukunft, die heller und freundlicher zu werden versprach, Beth McGowan von innen her mit Wärme und neuer Hoffnung erfüllt.
2. KAPITEL
Wenige Tage später wußten es alle in der Umgebung. Die amerikanische Armee unter General Washington hatte Winterquartier bezogen, kaum sieben Meilen von der McGowan-Farm entfernt. Es handelte sich dabei um ein kleines Gebiet, das sich leicht befestigen ließ, Valley Forge, mit den Ruinen einer Schmiede, die von den Engländern zerstört worden war. Beth begleitete ihren kleinen Sohn zum Eisfischen und hoffte dabei sehnlichst, unter den zahlreichen Soldaten, die währenddessen häufig vorbeiritten, möge einmal auch ein schwarzhaariger Lieutenant-Colonel sein.
Er hatte ihr versprochen, bald wiederzukommen. Und nun schwankte sie zwischen der Freude, ihn jetzt öfter bei sich zu haben, und der Sorge, seine Pflichten könnten ihn davon abhalten.
Es war freilich nicht der Erwartete, der auf die Farm geritten kam, sondern die Nachbarin, Mrs. Charity Pembroke, und Beth lief hinaus, die Freundin zu begrüßen.
„Es ist doch nichts mit Silas?" erkundigte sich Beth besorgt. Denn Charity Pembroke stand der Kummer im Gesicht geschrieben, als sie aus dem Sattel stieg. Ihr Mann Silas litt an schwerer Gicht und mußte häufig das Bett hüten. Das freilich hatte sich in diesen Kriegszeiten als gut erwiesen, denn es ersparte ihm den Militäreinsatz.
Sonst hätte auch Charity die Farm selbst bewirtschaften müssen,
„Nein, er ist nur wie wir alle ziemlich betroffen", erklärte Charity und ergriff Beths Hände. „Nicht genug, daß die Briten uns ausgeraubt haben, nun hat unsere eigene Armee Befehl, Pferde zu beschlagnahmen, alles bis auf eines auf jedem Hof Eine schöne
Regierung, die den eigenen Bürgern das Fell über die Ohren zieht."
„Das kann nicht wahr sein", widersprach Beth. „Vermutlich werden sie wieder bitten, sie mit Spenden freiwillig zu unterstützen. Lieutenant-Colonel Ross erwähnte, daß man uns unsere Erzeugnisse abkaufen werde, um die Garnison mit Lebensmitteln zu versorgen."
„Es ist wahr", beharrte Charity Pembroke. „Und das ist noch nicht alles. Es kommt noch schlimmer." Sie schüttelte den Kopf so heftig, daß die Kapuze von dem Scheitel glitt. „Die Armee hat Befehl, von allen Farmern im Umkreis von siebzig Meilen von Valley Forge zu verlangen, das Wintergetreide vorzeitig zu schneiden und gegen eine unbedeutende Entschädigung abzugeben. Bei Widerstand kann Gewalt angewendet werden. Es geht darum, die Soldaten durch den Winter zu bringen. Nun, falls die Briten noch einmal zurückkommen, können sie uns diesmal jedenfalls nichts mehr stehlen."
„Das ist unmöglich", rief Beth entrüstet. „Man kann uns doch nicht so herumkommandieren, als ob wir Feinde oder Kriegsgefangene wären und nicht loyale Patrioten."
Zwischen Charity Pembroke und Tim ging Beth die Stufen hinauf ins Haus. Sie zog die Schultern hoch, als fröre sie.
Jerrod hatte sie angelogen. Versprechungen hatte er gemacht, sie gebeten, ihm zu vertrauen. Und er wußte doch, wie die Engländer bereits in dieser Gegend gehaust hatten. War das der Schutz, von dem er geredet hatte? Wenn das wirklich stimmte, was Charity da erzählt hatte, dann sollte sich Jerrod Ross getäuscht haben, wenn er glaubte, er könne nach all dem einfach hierherkommen und mit Tim und Beth Weihnachten feiern.
„Wir werden uns das nicht widerstandslos gefallen lassen", sagte Beth streitbar und zog die Nachbarin in die Küche.
Bald dampfte Kaffee, wenn er auch aus Dörroggen und Maronen geröstet
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