Historical Weihnachtsband 1991
keine gemeinsame glückliche Zukunft für Elizabeth McGowan und Lieutenant-Colonel Jerrod Ross.
Sie lief zurück. Unter ihren Füßen knirschten Glassplitter und zerbröckelten Reste des Weihnachtsessens. Stumm hielt sie Wache neben Tim. Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie fühlte sich so verlassen, so trostlos, abgeschnitten von aller Welt durch den Schnee, der einen weißen schweigenden Wall um sie herum baute.
★
Eine bange Ewigkeit schien vergangen zu sein, bevor Jerrod endlich zurückkehrte.
Draußen dämmerte es schon, und auch in Beths Innerem hatte sich Düsternis ausgebreitet. Der Arzt beugte sich über den Jungen, der immer noch bewußtlos war, und untersuchte vor allem den Kopf.
„Er hat eine ziemlich große Beule und die Abschürfung am Kinn", stellte er ruhig fest. „Schläge auf den Kopf können manchmal die sonderbarsten Folgen zeitigen.
Meistens erwachen die Patienten verhältnismäßig schnell aus der Ohnmacht. Dann wieder, es tut mir leid, Madam, kann es Monate dauern. Dabei ist auch mit einem Gedächtnisschwund zu rechnen."
Beth saß neben ihrem Sohn und hielt seine Hand, Die fühlte sich warm an. Das Gesicht hatte einen fast heiteren Ausdruck, wenn man über die gerötete Stelle am Kinn hinwegsah. Wie konnte das nur geschehen? Dieser Krieg hatte Beth alles genommen, den Ehemann, einen großen Teil des Besitzes, und nun die Gelegenheit, noch einmal glücklich zu werden, — ja, vielleicht sogar das Leben ihres Sohnes.
Würde sie überhaupt jemals wieder ein segenvolles Weihnachtsfest verbringen können?
Beth dankte dem Arzt, bevor Jerrod ihn hinausbegleitete. Als er zurückkam, setzte er sich neben ihr auf den Boden und legte seine Hand über ihre, die immer noch Tims Rechte umklammert hielt. Behutsam legte er zwei holzgeschnitzte Figürchen auf ihren Schoß. Es war das Jesuskind mit einem Schäfchen.
„Das habe ich draußen im Schnee gefunden, Beth."
„Sie müssen es verloren haben, als sie den Kissenbezug hinausschleppten. Tim hat immer behauptet, das sei Sheba."
„Beth, die Schurken haben auch Sheba mitgenommen, die Kuh und die Stute aus der Scheune."
Beth fühlte sich wie zerschlagen, und ihre Stimme klang schwach und leise.
„Seltsam. Jetzt, da Tim so daliegt, ist das alles nicht mehr wichtig. Ich hätte den Kerlen etwas zu essen gegeben, Jerrod. Und ich habe so laut gesungen in meiner Freude, unser Festessen zu bereiten, daß ich sie nicht habe kommen hören." Sie wandte den Kopf ab. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Beth schluchzte auf.
„Mach dir doch keine Vorwürfe", bat Jerrod und legte ihr den Arm um die Schultern.
„Es war nicht deine Schuld."
„Doch, aber auch die deine. Hättest du nicht Tim eingeredet, er könne schon seinen Mann als Herr der Farm stehen, wäre das hier nicht geschehen. Du hättest nicht hierherkommen und Versprechungen machen dürfen, die du nicht halten kannst."
„Beth, nicht. Ich weiß, wie verstört du bist. Trotzdem bitte ich dich, mir die Männer zu beschreiben. Wahrscheinlich waren es keine Soldaten, sondern Deserteure oder Überläufer. Es treibt sich viel Gesindel umher in diesen schlechten Zeiten."
„Das ändert alles nichts mehr, Jerrod. Es ist zu spät. Zu spät wahrscheinlich auch für uns. Solange Tim so daliegt, kann es keine Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft bei uns geben . . ."
„Beth, darüber laß uns später reden. Jetzt muß ich diese Kerle daran hindern, noch mehr Unheil zu stiften, bevor der Schnee
ihre Spuren ganz verweht."
Beth war zwar sicher, daß das längst geschehen und alles sinnlos geworden war.
Trotzdem beschrieb sie die Männer, so gut sie konnte, den Bärtigen, den stämmigen Anführer, den sie Rand genannt hatten. Dabei glaubte sie manchmal, das Herz müsse ihr stillestehen vor Schmerz bei der Erinnerung an das Gewesene.
Jerrod wußte natürlich, daß es kaum eine Hoffnung gab, die Strolche zu fassen und der gerechten Strafe zuzuführen, dennoch klammerte er sich an den Strohhalm einer Möglichkeit. Angst und Zorn stritten in ihm um die Oberhand. Heute, am Weihnachtsabend, hatte er geglaubt, das Glück festhalten zu können, und gerade da mußten diese verdammten Hundesöhne auftauchen und seine wie Beths Zukunft in Trümmer schlagen, vielleicht sogar die des jungen Tim. Beim Anblick des unschuldigen, wohlbehüteten Kindes, das immer noch regungslos hingestreckt dalag, wie vom Blitz getroffen, dämmerte Jerrod eine unbarmherzige Erkenntnis.
Seine Annahme, er werde diesen Krieg
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